Luther und sein Ablassbrief oder: Die biblisch-lutherische Lehre von Rechtfertigung

Dieser Tage zog es wie ein mickriger Sturm durch die Medien: Luther hat offenbar als Glied des Erfurter Augustiner-Klosters 1508 an einem Ablasskauf teilgenommen. Sein Name ist auf einer Abschrift eines Briefes aus dem Jahr 1508 entdeckt worden. Warum das zum Aufreger wird erschließt sich natürlich nicht: 1508 liegt nun einmal vor 1517 und wie wir immer schon wussten, beteiligte sich Luther nun einmal an den ganz üblichen Frömmigkeitsformen seiner Zeit und suchte, was er in ihnen nicht finden konnte: Gerechtfertigt zu sein vor Gott. Trotzdem bietet sich hier ein guter Anlass, der Frage nachzugehen: Wo fand Luther und mit ihm die wahre Kirche vor und nach ihm diese Rechtfertigung, von der die Evangelische Kirche bis heute mit Vorliebe redet? Wir wollen diese Frage nicht streng historisch angehen, sondern im Blick darauf, was uns heute und als Kirche beschäftigen muss.

Werfen wir also einen Blick auf das, was laut dem Augsburger Bekenntnis (Confessio Augustana) verbindende Lehre der Christenheit über die Rechtfertigung ist (CA 4):

Weiter wird gelehrt, dass wir Vergebung der Sünde und Gerechtigkeit vor Gott nicht durch unser Verdienst, Werk und Genugtuung erlangen können, sondern dass wir Vergebung der Sünde bekommen und vor Gott gerecht werden aus Gnade um Christi willen durch den Glauben, nämlich wenn wir glauben, dass Christus für uns gelitten hat und dass uns um seinetwillen die Sünde vergeben, Gerechtigkeit und ewiges Leben geschenkt wird. Denn diesen Glauben will Gott als Gerechtigkeit, die vor ihm gilt, ansehen und zurechnen, wie der Hl. Paulus zu den Römern im 3. und 4. Kapitel sagt.

Und Luther schreibt im Kleinen Katechismus (und damit auch das apostolische Glaubensbekenntnis) über die Erlösung folgendes:

[Ich glaube] an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.

 

Was ist das?

 

Ich glaube, daß Jesus Christus, wahrhaftiger Gott vom Vater in Ewigkeit geboren und auch wahrhaftiger Mensch von der Jungfrau Maria geboren, sei mein Herr, der mich verlornen und verdammten Menschen erlöset hat, erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels; nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen, teuren Blut und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben; damit ich sein eigen sei und in seinem Reich unter ihm lebe und ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit, gleichwie er ist auferstanden vom Tode, lebet und regieret in Ewigkeit.
Das ist gewißlich wahr.

 

Die Lutherische Kirche glaubt, lehrt und bekennt hinsichtlich der Rechtfertigung also folgendes (vgl. FC III):

(1) Gott vergibt uns unsere Sünde aus reiner Gnade. Die Gerechtigkeit vor Gott, die Christus durch seinen Gehorsam erworben hat, wird uns ohne alle Werke – weder vorausgehende, gegenwärtige oder zukünftige – geschenkt und zugerechnet. Allein deshalb, weil Christus solche Gerechtigkeit erworben hat, werden wir von Gott in Gnaden angenommen und für gerecht erachtet – solus Christus.

(2) Allein der Glaube ist das Mittel, wodurch wir Christus ergreifen, wodurch wir eine Gerechtigkeit, die vor Gott bestand hat, erhalten. Deshalb ist dieser Glaube es, der uns zur Gerechtigkeit gerechnet wird (Röm 4) – sola fide.

(3) Allein im Wort des Evangeliums erkennen wir Christus als unseren Erlöser und zwar nicht so, dass wir lediglich einen historischen Sachverhalt anerkennen würden, sondern so, dass wir durch die Gabe Gottes Vertrauen geschenkt bekommen. Vertrauend glauben wir, dass wir die Vergebung vor Gott allein aufgrund des Gehorsams Christi vor seinem Vater haben und allein dadurch von Gott als gerecht und ewig selig erachtet werden – sola scriptura.

(4) Ohne Zweifel sind auch die Rechtgläubigen und in Christus Wiedergeborenen im gesamten Leben bis zu ihrem Tode sündige Menschen voller Schwachheit und Gebrechlichkeit. Dennoch sollen sie keinen Grund haben, an ihrer Gerechtigkeit, die ihnen durch den Glauben zugerechnet wird, noch an ihrer Seligkeit zu zweiflen. Um Christi willen haben sie aufgrund der Verheißung des fest stehenden Wortes des Evangeliums einen gnädigen Gott: „Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht“, Röm. 8. – sola gratia.

So schreibt es auch der heilige Apostel Paulus: „Aus Gnaden, ohne Verdienst, ohne Gesetz, ohne Werke, nicht aus den Werken“ – welche Worte alle zugleich so viel bedeuten wie: allein durch den Glauben an Christus werden wir gerecht und selig.

Hinsichtlich guter Werke bedeutet das: Sie gehören nicht zu den Punkten, mit welchen die Rechtfertigung (in der Fachsprache: Soteriologie) beschrieben wird. Weder gehen sie ihr voraus, noch folgen sie ihr nach. Allerdings soll daraus nicht gefolgert werden, es könnte einen Glauben geben, welcher bei und neben einem bösen Vorsatz, zu sündigen und gegen das Gewissen zu handeln, sein und bleiben könnte. Nachdem der Mensch durch den Glauben gerechtfertigt worden ist, ist ein wahrhaftiger, lebendiger Glaube durch die Liebe tätig (Gal. 5). Das heißt, dass die guten Werke dem gerechtmachenden Glauben allezeit folgen. Sie werden bei einem solchen Glauben, da er rechtschaffen und lebendig ist, gewiss gefunden werden; wie er auch niemals allein ist, sondern allezeit Liebe und Hoffnung bei sich hat.

 

Der Ablasshandel befriedigte, in ökonomischen Worten ausgedrückt, die Nachfrage nach Sicherheit im Angesicht des richtenden Gottes. Doch Gott hat diese Sicherheit in seinem Sohn und dessen stellvertretenden Tod „allein aus Glauben“ gegeben. Und trotzdem bleibt das Bedürfnis, die unangenehme Wahrheit dieses Gerichts auszuschalten: damals auf ökonomische Weise, heute auf semantische. Daher ist es immer wieder angebracht, inhaltlich untrennbares, wie es z.B. aus dem obigen folgt, klar aufzuzeigen:

1) Eine Erlösung durch Christus gibt es nur, wenn auch eine Erlösung von der faktischen (und nicht emotionalen oder erkenntnisbedingten) Getrenntheit von Gott überhaupt notwendig war. Ein solches Sündenverständnis ist für das Christentum unabdingbar.

2) Es ist der „wahrhaftiger Gott vom Vater in Ewigkeit geboren und auch wahrhaftiger Mensch von der Jungfrau Maria geboren“, den wir bekennen und anbeten. Kein anderes Christusbild ist möglich ohne aufzuhören, Christ im einzigen rational haltbaren Sinne zu bleiben.

3) Die Werke, die dem Glauben folgen, sind epistemologisch bedingt und nicht frei wählbar. Der archimedische Punkt christlicher Ethik ist der Wille Gottes, der bedingt was gut (also seinem Willen entsprechend) und schlecht (also diesem nicht entsprechend) ist. Dieser Wille ist, laut Christus, durch Gott selbst offenbart und uns in der Schrift, seinem Wort, überliefert.

Wir verweisen gern wieder auf Johnny Cash: wer sich in Leben und Tod an diesen Christus hält, sich an ihn klammert, der geht nicht verloren, der ist gerettet. Und so einfach ist es: glauben und darauf vertrauen, dass er der ist, der er zu sein vorgab, und dass er das vollbracht hat, was er tun in die Welt gekommen war. Doch es muss schon dieser Christus sein, ein anderer hilft nicht.

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