Da liegen alle falsch! Kirche, Politik und der dritte Gebrauch des Gesetzes

Der dritte Gebrauch des Gesetzes, das ist so ein Schlagwort, das man in lutherischen Kreisen hören kann. Was ist das eigentlich und worum geht es? Fragen wir FC VI:

Das Gesetz hat Gott den Menschen aus drei Gründen gegeben:

 

erstens, damit dadurch eine äußere, weltliche Ordnung aufgerichtet wird (Bsp.: du sollst nicht töten – damit ich beruhigt durchs Leben gehen kann, gibt es Gesetze des Staates, die Mord verbieten);

 

zweitens, damit die Menschen dadurch zur Erkenntnis, dass sie, egal, wie gut sie gelebt haben, doch gesündigt haben, geführt werden (Bsp.: du sollst nicht töten – Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unserm Nächsten an seinem Leibe keinen Schaden oder Leid tun, sondern ihm helfen und fördern in allen Lebensnöten. Wo wir das nicht tun, verstoßen wir gegen dieses Gebot. Also ziemlich oft im Leben.);

 

drittens, nachdem sie in Christus wiedergeboren worden sind und sie dennoch Menschen dieser Erde bleiben, dass sie deshalb eine gewisse Regel haben, nach welcher sie ihr ganzes Leben anstellen und gestalten sollen (Bsp.: du sollst nicht töten – auch wenn ich Sünder bleibe: als Christ soll ich nicht töten [und auch keinem Menschen zürnen] und wenn ich es doch tue, gehöre ich genauso vom weltlichen Recht verfolgt, wie jeder andere.)

Hier gibt es nun Einige, die meinen, wenn Christus für unsere Sünden gestorben ist, und uns vergeben ist, und wir wissen, dass wir in unserem Leben immer Sünder bleiben und nie ganz vollkommen und gerecht sein werden, dann ist es doch eigentlich egal, wie viel wir sündigen. Dazu sagt Paulus: „Sollen wir denn in der Sünde beharren, damit die Gnade umso mächtiger werde? Das sei ferne! Wir sind doch der Sünde gestorben. Wie können wir noch in ihr leben?“ (Röm 6,1f.)

Es ist also das Gesetz auch auf die dritte Weise zu gebrauchen. Was heißt das?

1. Wir glauben, lehren und bekennen, dass, obwohl die rechtgläubigen und wahrhaftig zu Gott bekehrten Menschen vom Fluch und Zwang des Gesetzes durch Christum befreit und ledig gemacht worden sind, sie deshalb doch nicht ohne Gesetz sind, sondern darum von dem Sohn Gottes erlöst worden sind, damit sie sich im GesetzTag und Nacht üben sollen (Ps. 119). Denn auch vor dem Sündenfall haben unsere ersten Eltern nicht ohne Gesetz gelebt, vielmehr war ihnen das Gesetz Gottes ins das Herz geschrieben worden, als sie zum Ebenbild Gottes erschaffen worden sind (Gen. 2 und 3).

 

2. Wir glauben, lehren und bekennen, dass die Predigt des Gesetzes nicht allein bei den Ungläubigen und Unbußfertigen, sondern auch bei den wahrhaftig Gläubigen, wahrhaftig Bekehrten, Wiedergeborenen und durch den Glauben Gerechtfertigten fleißig zu betreiben ist.

 

3. Denn obwohl sie zwar wiedergeboren und ihr Geist erneuert ist, so ist doch solche Wiedergeburt und Erneuerung in dieser Welt nicht vollkommen, sondern nur angefangen. Die Gläubigen stehen mit ihrem Geist in einem stetigen Kampf gegen das Fleisch, das heißt, gegen die verdorbene Natur und Art, die uns bis in den Tod anhängt. Um dieses alten Adams wiIlen, der im Verstand, WiIlen und alIen Kräften des Menschen noch steckt, damit der Mensch nicht aus menschlicher Andacht eigenwilIige und selbsterwählte Gottesdienste vornehme, ist es nötig, dass ihnen das Gesetz des Hern immer den Weg leuchte. Genauso ist es nötig, dass auch der alte Adam nicht seinen eigenen WiIlen gebrauche, sondern gegen seinen WiIlen nicht allein durch Ermahnung und Drohung des Gesetzes, sondern auch mit Zwang gezwungen werde, dass er dem Geist folge und sich gefangen gebe (1 Kor. 9; Röm. 6. 7. 12; Gal. 5. 6; Ps. 119; Hebr. 13).

 

4. Was sodann den Unterschied der Werke des Gesetzes und der Früchte des Geistes belangt, glauben, lehren und bekennen wir, dass die Werke, die nach dem Gesetz geschehen, so lange Werke des Gesetzes sind und bleiben werden, solange sie allein durch das Drohen mit dem Zorn Gottes aus den Menschen erzwungen werden.

 

5. Früchte des Geistes aber sind die Werke, welche der Geist Gottes, der in den Gläubigen wohnt, durch die Wiedergeborenen bewirkt. Sie geschehen durch die Gläubigen, als wenn sie von keiner Drohung oder Belohnung des Gebots wüssten. Dergestalt leben die Kinder Gottes im Gesetz und wandeln nach dem Gesetz Gottes, welches St. Paulus in seinen Episteln das Gesetz Christi und das Gesetz des Gemüts nennt – und gleichwohl nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade (Röm. 7 und 8).

 

6. Also ist und bleibt das Gesetz sowohl bei den Bußfertigen als auch Unbußfertigen, bei wiedergeborenen und nichtwiedergeborenen Menschen ein einziges Gesetz, nämlich der unwandelbare Wille Gottes. Der Unterschied, soviel den Gehorsam belangt, betrifft aIlein den Menschen. Denn einer, der noch nicht wiedergeboren ist, tut dem Gesetz, was es von ihm erfordert, aus Zwang und unwiIlig (wie auch die Wiedergeborenen nach dem Fleisch), der Gläubige aber tut ohne Zwang mit wiIligem Geist (soweit er neugeboren ist), was keine Drohungen des Gesetzes aus ihm jemals erzwingen könnten.

Damit haben wir ziemlich ausführlich beschrieben, was es im lutherischen Kontext meint, wenn jemand vom „Dritten Gebrauch“ spricht. Der Gläubigen soll das Gesetz nicht nur hören und wissen, dass er ein Sünder ist, sondern auch hören und tun. Aber was heißt das für die Versammlung der Gläubigen?

Dazu schauen wir uns CA 28 an, die Grundlegung der Zwei-Regimenter-Lehre:

Man soll die zwei Regimente, das geistliche und weltliche, nicht ineinandermengen und -werfen; denn die geistliche Gewalt hat ihren Auftrag, das Evangelium zu predigen und die Sakramente zu reichen. Sie soll auch kein  fremdes Amt ausüben, soll nicht Könige ein- und absetzen, soll weltlich Gesetz und Gehorsam gegenüber der Obrigkeit nicht aufheben oder zerrütten, soll der weltlichen Gewalt von weltlichen Sachen keine Gesetze machen; wie auch Christus selbst gesagt hat (Joh. 18,36): „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“; ebenso Luk. 12,14: „Wer hat mich zu einem Richter zwischen euch gesetzt?“ Und St. Paulus zu den Philippern im 3. Kapitel: „Unsere Bürgerschaft ist im Himmel“; und zweiten Korintherbrief im 10. Kapitel: „Die Waffen unserer Ritterschaft sind nicht fleischlich, sondern mächtig vor Gott, zu zerstören die Anschläge und alle Höhe, die sich erhebt wider die Erkenntnis Gottes.“ Diesergestalt unterscheiden die Unseren die Aufgaben beider Regimenter und Gewalten und fordern, sie beide als die höchsten Gaben Gottes auf Erden in Ehren zu halten.

Wo aber die Bischöfe weltlich Regiment und Gewalt haben, so haben sie dieselben nicht als Bischöfe aus göttlichen Rechten, sondern aus menschlichen, kaiserlichen Rechten, geschenkt von römischen Kaisern und Königen zu weltlicher Verwaltung ihrer Güter, und gehet das das Amt des Evangeliums gar nichts an.

Die Kirche ist also nicht dafür da, politische Gesetzgebung zu entwerfen oder auszuüben. Das soll sie mal schön den Staat machen lassen. Christen sollen sich zwar an der politischen Ordnung beteiligen, aber als Menschen, nicht im Auftrag oder als Vertreter der Kirche. Die Kirche hat lediglich den Auftrag, das Evangelium zu predigen und die Sakramente zu spenden. Reicht ja auch aus. Zum Evangelium predigen, wie das Wort hier verwendet wird, gehört aber die Predigt des Gesetzes hinzu. (Das liegt an der Unschärfe des Begriffs „Evangelium“, wie er bereits in der Bibel begründet ist, vgl. FC V.) Die Frage, die sich stellt, lautet also: Auf welche Weise predigt die Kirche das Gesetz? „Nur“, um die Sünde aufzudecken, oder auch im Sinne des dritten Gebrauchs? Die Konkordienformel sagt es klar: Die Predigt im Sinne des dritten Gebrauchs ist notwendig. Kirchliche Predigt kommt nicht ohne die Predigt vom Gesetz, an das sich die Getauften halten sollen aus. Das bleibt, auch wenn die kirchliche Predigt weiß, dass diese Form der Predigt nicht zu Heil und ewigem Leben anleitet. Denn natürlich ist zu beachten, dass immer diese beiden Punkte Ausgangspunkt bleiben: die Predigt des Gesetzes im aufdeckenden Sinn, die mir zeigt, dass ich nichts zu meinem Heil hinzu tun kann und ganz verloren bin, und die Predigt des Evangeliums, die mir zeigt, dass bereits alles für mich getan ist. Die Predigt des Gesetzes im Sinne des dritten Gebrauchs kann mich nicht vor Gott zum besseren Menschen machen, oder meinen Status bei ihm verbessern. Aber sie zeigt mir, wie Gott möchte, dass ich ihm gegenüber lebe. Und sie ist Dienst am Nächsten, im Auftrag Gottes.

Der dritte Gebrauch des Gesetzesist kein aktives politisches Positionieren. Aber er führt zwangsläufig zu einem Benennen wichtiger Grundprinzipien. Wie diese Prinzipien dann politisch gestaltet werden, das muss die Welt ausdiskutieren. Hier gilt: Christen unterscheiden sich in ihren politischen Auffassungen, das ist normal. Sie werden selber ganz unterschiedliche Wege für richtig erachten, mit Problemen, die die Gesellschaft betreffen, umzugehen. Die Kirche erliegt oft genug und soll doch nicht der Versuchung erliegen, doch ganz konkrete Vorschläge zu machen, die dann mithilfe christlicher Argumentation abgesichert werden sollen. Das ist ein Fehlgehen, auf dem Umkehrr erfolgen muss. Aber was eben auch nicht geht: Zu meinen, der richtige Weg sei der, dass Kirche hier ganz verstummt. Mit einer bestimmten politischen Agenda aufzutreten, und zu behaupten, man führe keine, ist hier nicht der richtige Weg. Das entscheidende Prinzip ist ein anderes: Die Kirche muss sich immer wieder darauf zurückziehen, das Gesetz zu predigen.

Die Lehre vom dritten Gebrauch des Gesetzes macht also letztlich folgendes: Sie kritisiert und korrigiert alle Seiten. Die Seite, die meint, Kirche müsse in der Hauptsache ein gesellschaftlichspolitischer Player sein und die Seite, die meint, Kirche solle doch einfach die Mächtigen dieser Welt machen lassen, hauptsache man betet im stillen Kämmerlein. Rechts, links und zwischendrin werden zurückgerufen zum Wort des Gesetzes. Dieses kommt nirgendwo konzentrierter zum Ausdruck als in den Zehn Geboten, die sowohl die Forderungen des aufdeckenden Charakters des Gesetzes als auch die Forderungen nach dem dritten Gebrauch des Gesetzes deutlich vor Augen führen. Denn die 10 Gebote rufen die Kirche zum eigentlichen, zum ersten Gebot, Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen. Wer sie hört, der kann die Kirche nicht nur als einen gesellschaftlichen Faktor betrachten, der in religiöser Ummäntelung daherkommt. Aber sie ruft sie eben zum Fünften Gebot auf, „dass wir unserm Nächsten an seinem Leibe keinen Schaden noch Leid tun, sondern ihm helfen und fördern in allen Lebensnöten. Wer sie hört, kann also auch nicht den Nächsten aus dem Blick verlieren, auch wenn er weiß, dass jede Entscheidung in irgendeiner Form fehlerbehaftet sein wird, weil Menschen sie getroffen haben.

In diesem Sinne wünschen wir zum Abschluss eine angenehme Lektüre der Zehn Gebote:

1. Gebot
Ich bin der HERR, dein Gott. Du sollst nicht andere Götter haben neben mir.

Was heißt das?

Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen.

2. Gebot
Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes nicht unnütz gebrauchen; denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen mißbraucht.

Was heißt das?

Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir bei seinem Namen nicht fluchen, schwören, zaubern, lügen oder trügen, sondern denselben in allen Nöten anrufen, beten, loben und danken.

3. Gebot
Du sollst den Feiertag heiligen.

Was heißt das?

Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir die Predigt und sein Wort nicht verachten, sondern dasselbe heilig halten, gerne hören und lernen.

4. Gebot
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf daß dir’s wohl gehe und du lange lebest auf Erden.

Was heißt das?

Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unsere Eltern und Herren nicht verachten noch erzürnen, sondern sie in Ehren halten, ihnen dienen, gehorchen, sie lieb und wert haben.

5. Gebot
Du sollst nicht töten.

Was heißt das?

Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unserm Nächsten an seinem Leibe keinen Schaden noch Leid tun, sondern ihm helfen und fördern in allen Lebensnöten.

6. Gebot
Du sollst nicht ehebrechen.

Was heißt das?

Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir keusch und zuchtvoll leben in Worten und Werken und in der Ehe einander lieben und ehren.

7. Gebot
Du sollst nicht stehlen.

Was heißt das?

Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unsers Nächsten Geld oder Gut nicht nehmen noch mit falscher Ware oder Handel an uns bringen, sondern ihm sein Gut und Nahrung bessern und behüten helfen.

8. Gebot
Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.

Was heißt das?

Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unsern Nächsten nicht aus Falschheit belügen, verraten, verleumden oder hinter seinem Rücken reden, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren.

9. Gebot
Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus.

Was heißt das?

Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unserm Nächsten nicht mit List nach seinem Erbe oder Hause trachten, noch mit einem Anschein von Recht an uns bringen, sondern ihm dasselbe zu behalten förderlich und dienlich sein.

10. Gebot
Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, Knecht, Magd, Vieh oder alles, was sein ist.

Was heißt das?

Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unsers Nächsten Frau, Gehilfen oder Vieh nicht ausspannen, abwerben oder abspenstig machen, sondern dieselben anhalten, daß sie bleiben und tun, was sie schuldig sind.

Schluß der Gebote
Was sagt nun Gott von diesen Geboten allen?

Er sagt: Ich, der Herr, dein Gott, bin ein starker, eifernder Gott, der an denen, die mich hassen, die Sünde der Väter heimsucht bis zu den Kindern im dritten und vierten Glied ; aber denen, die mich lieben und meine Gebote halten, tue ich wohl bis in tausend Glied.

Was heißt das?

Gott droht zu strafen alle, die diese Gebote übertreten; darum sollen wir uns fürchten vor seinem Zorn und nicht gegen diese Gebote tun. Er verheißt aber Gnade und alles Gute allen, die diese Gebote halten. Darum sollen wir ihn auch lieben und vertrauen und gerne tun nach seinen Geboten.

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