Die christliche Botschaft hat oft das Problem, dass sie als Lebensertüchtigungsmittel wahrgenommen wird. Das passiert zum Beispiel, wenn damit argumentiert wird, dass Christen gesünder lebten. Abgesehen davon, dass es da auch andere Zusammenhänge geben kann: wer nur deshalb Christ wird oder bleibt, damit er (gesünder) lebt, der hat das Ziel auch schon verfehlt.
Aber auch, wenn die Predigt zur lebensweltlichen Beratung verkommt, geschieht eine solche Nutzbarmachung des Glaubens: „Ich wünsche euch heute, dass ihr den Menschen etwas sagen könnt, von dem ihr wisst, dass es sie freut und dass ihr etwas tun könnt, das anderen hilft …“ – solcher Art Selbstverbesserungsanleitung sind nicht nur die Twittersprüche einer norddeutschen Pastorin, sondern auch der Inhalt vieler Predigten von Pastoren und Pastorinnen landauf landab, in denen es dann darum geht, dass es auch uns helfen wird, wenn wir der alten Frau über die Straße helfen oder dass wir alle auch ein Stückweit am Kreuz hängen, weil es uns manchmal schlecht geht und wir deshalb achten müssen auf unsere Mitmenschen, die ebenfalls ein wenig am Kreuz hängen. Motto: Wenn jeder ein wenig für sich am Kreuz abhängt, ist doch auch der Blick auf uns alle gelenkt.
Nicht zuletzt, wenn Glaube nur dazu dienen soll, dem eigenen Leben ein wenig mehr Sinn zu geben (so könnte man manche Texte zum Thema „warum glauben?“ verstehen), ist Glaube zur Sinnerfahrung verkommen, die irgendwie ganz nützlich und praktisch zu sein scheint. Zumindest für die, die sich halt darauf einlassen können, alle anderen sollten sich etwas aus den Alternativangeboten heraussuchen. Ich suche nur ein wenig Sinn, weil ich sonst allzu traurig bin.
Ein bisschen was Nützliches bekommen ist also das, was am Ende entscheident sein soll oder zur Glaubensentscheidung helfen soll. Ein bisschen besser durchs Leben kommen, ein bisschen gesünder und schöner. Ein wenig ein besserer Mensch zu sein. Und: auch mal ein bisschen was aushalten können, hier und da sich ein Stückchen anstrengen, So kann man das christliche Leben in Predigten oft wahrnehmen. Dieses Aushalten können wird uns gut tun, so wird versprochen. Es ist ein kleiner Schritt für uns, aber doch ein großer für unser Wohlergehen. Das ganze Leben als Training, immer nach dem Motto: Was uns nicht umbringt, wird uns stärker machen. Stets bemüht ist ausreichend. Du musst nicht Sieger sein, du musst nur guten Willen zeigen, und alles wird gut.
Aber wer sein Leben behalten will, der wirds verlieren, sagt Christus. Auch der, der sein Leben nur ein bisschen behalten will. Christus tritt für jenen nicht ein, er ist kein Fürsprecher für ihn beim Vater. Wer nur seins will, bei dem bleibt Christus still.
Gott lässt uns nicht aushalten, auch nicht nur ein Stückchen. Gott bringt uns um.
Sehr schön ausgedrückt ist das übrigens in einem alten Folksong:
You can run on for a long time
Run on for a long time
Run on for a long time
Sooner or later God’ll cut you down
Sooner or later God’ll cut you down
Zwar scheibt die Wikipedia-Erklärung „The lyrics are a warning to sinners that no matter how hard they try, they will not avoid God’s judgment.“, dass also das Lied als Warnung an Sünder gedacht sei, dass diese Gottes Gericht nicht entfliehen können, und hier könnte man wunderbar moralisieren: Du entkommst Gott nicht, also sündige nicht mehr! Fang an, jeden Tag ein Stückchen besser zu leben (siehe oben)! Aber eine Erkenntnis, die das Luthertum immer wieder hervorhebt, ist ja gerade, dass du auf dieser Erde nie aufhören wirst, Sünder zu sein. Du kannst zwar jeden Tag ein wenig besser leben, aber du wirst nie perfekt leben. Du kannst also eine ganze lange Zeit anderen Gutes tun, deinem Leben ein Stückchen Sinn geben, jeden Tag eine gute Tat tun, früher oder später wirst du doch sterben. Das Gesetz tötet durch die Sünde, und da ist es egal, wie klein oder groß du meinst, dass diese bei dir sei.
Kommen wir zum spannenden Teil: Wie tötet uns Gott?
Das Interessante ist ja, dass Gott Dinge immer anders tut, als wir meinen würden, dass man Dinge tun müsste. Er erschafft einen Menschen, der der Sünde verfallen kann, obwohl wir uns denken, dass das doch unnötig ist. Er wird Mensch, um den gefallenen Menschen zu erreten, obwohl wir doch an seiner Stelle einfach mit dem Finger schnipsen würden. Dazu lässt er sich dabei auch noch ewig lange Zeit. Die Liste könnte man fortsetzen. Sie drückt sich sehr schön aus in der Frage nach dem Leid auf der Welt, wie sie bei Lactanz epikur zugeschrieben ist: Ist Gott allmächtig, allgütig und allwissend, wie kann es dann Leid geben? Für uns ist es seltsam, dass die Welt so ist, wie sie ist, und wir würden würden vieles anders machen. Aber Gott tut Dinge anders als wir meinen, dass es richtig ist. Und so ist es auch, wenn Gott tötet: Er tötet, indem er lebendig macht bzw. er macht uns zum neuen Menschen, macht uns lebendig, indem er tötet:
Bei der Taufe senkt man uns ins Wasser, das über uns hergeht, und danach zieht man uns wieder heraus. Diese zwei Stücke, unter das Wasser sinken und wieder herauskommen, zeigen die Kraft und das Werk der Taufe, welches nichts anderes ist als die Tötung des alten Adams und danach die Auferstehung des neuen Menschen, welche beide unser Leben lang in uns gehen sollen, also dass ein christliches Leben nichts anderes ist alseine tägliche Taufe, einmal angefangen und immer darin gegangen. Denn es muss ohne Unterlass also getan sein, dass man immer ausfege, was des alten Adams ist, und hervorkomme, was zum neuen gehört.
Großer Katechismus, Von der Kindertaufe
Gott tötet unseren Menschen, egal wie hübsch wir den machen. Er macht durch seinen Geist einen neuen Menschen, der lebt, wie es Paulus in Römer 8 beschreibt. Aber auch hier macht es Gott wieder anders, als wir das vielleicht tun würden:
Obwohl Gottes Gnade durch den Heiligen Geist gemacht ist, durch Gottes Wort in der Vereinigung der christlichen Kirche, so sind wir doch niemals ohne Sünde unseres Fleisches halben, das wir noch am Halse tragen.
Darum ist alles in der Christenheit dazu geordnet, dass man täglich Vergebung der Sünden durchs Wort [Predigt] und Zeichen [Abendmahl und Taufe] hole. Damit wird unser Gewissen getröstet und aufgerichtet, solange wir hier leben. Also macht der Heilige Geist, dass, obwohl wir Sünde haben, sie uns doch nicht schaden kann, weil wir in der Christenheit sind, wo überreichliche Vergebung der Sünden ist, und zwar sowohl, dass uns Gott vergibt, als auch, dass wir uns untereinander vergeben, tragen und aufhelfen.
Außerhalb der Christenheit aber, wo das Evangelium nicht ist, ist auch keine Vergebung, wie auch keine Heiligkeit da sein kann. Darum haben sich alle selbst herausgeworfen und ausgesondert, die nicht durchs Evangelium und Vergebung der Sünden, sondern durch ihre Werke Heiligkeit suchen und verdienen wollen.
Indes aber, weil die Heiligkeit angefangen ist und täglich zunimmt, warten wir, daß unser Fleisch getötet und mit allem Unflat begraben werde, aber herrlich hervorkomme und auferstehe zu ganzer und völliger Heiligkeit in einem neuen ewigen Leben. Denn jetzt bleiben wir halb und halb rein und heilig, auf dass der Heilige Geist immer an uns arbeite durch das Wort und täglich Vergebung austeile bis in jenes Leben, in dem Vergebung nicht mehr sein wird, sondern ganz und gar reine und heilige Menschen, voller Frömmigkeit und Gerechtigkeit, entnommen und ledig von Sünde, Tod und allem Unglück, in einem neuen unsterblichen und verklärten Leibe.
Großer Katechismus, Vom Heiligen Geist
Solange wir leben, bleibt unser alter, sündiger Mensch. Solange wir leben, tötet Gott diesen Menschen, tötet uns. Dem entfliehen wir weder mit ein wenig Anstrengung, noch mit ein wenig Sinnfindung. Gott ertüchtigt uns nicht zu einem guten Leben, er macht etwas ganz anderes daraus. Folgerichtig hält der Große Katechismus fest: „Der Glaube ist eine ganz andere Lehre als die zehn Gebote; denn diese lehren wohl, was wir tun sollen, jener aber sagt, was uns Gott tue und gebe. Die zehn Gebote sind auch sonst in aller Menschen Herzen geschrieben, den Glauben aber kann keine menschliche Klugheit begreifen, und er muss allein vom Heiligen Geist gelehrt werden. Darum macht jene Lehre noch keinen Christen, denn es bleibt noch immer Gottes Zorn und Ungnade über uns, weil wir nicht halten können, was Gott von uns fordert. Aber dieser bringt Gnade, macht uns fromm und Gott angenehm. Denn durch diese Erkenntnis bekommen wir Lust und Liebe zu allen Geboten Gottes, weil wir hier sehen, wie sich Gott ganz und gar mit allem, was er hat und besitzt, uns gibt.“
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