Wenn es Häresien, Streit und Spaltungen in der Kirche gibt, so verschieden die Themen auch sein mögen, so haben sie doch alle den gleichen Ursprung und wachsen grundsätzlich aus demselben Samen, meint Valentin Ernst Löscher. Gott lässt zwar das Keimen nicht immer zu, vorhanden ist der Same jedoch immer.
So viel aus Gottes Wort und der Erfahrung kund geworden ist so besteht dieser Same in folgenden, zur Erbsünde gehörenden, Tücken des Herzens, welche alle aus dem Unglauben ihre Kraft und Lebendigkeit bekommen:
1.) in der Geringschätzung und Hintansetzung der von Gott vorgeschriebenen oder doch angezeigten Ordnung. Wie Naaman dort das siebenmalige Waschen in dem Jordan, welches ihm der Mann Gottes angeordnet hatte, verachtete (2. Könige. 5, 11-12). So ist es eben dem menschlichen Herzen nach seiner sündhaften Geburt angeboren, alles besser, heiliger und kräftiger zu wissen und zu wollen, als es Gott geordnet hat oder als es sein kann. Diese Unart nimmt immer zu, bis sie zur Verachtung und Verwerfung der Mittel und Ordnung des Heils ausschlägt, zuletzt wird dann daraus der offenbare Fanatismus. Denn die, welche damit behaftet sind, nennt der Heilige Geist ἀτάκτους (ataktous), die von der Ordnung losgelöst sind (1 Thes. 5,14).
2) In dem sogenannten Absolutismus, oder derjenigen Beschaffenheit des Gemüts, in der der Mensch (aus einem Rest der verdammenswerten Lust der ersten Eltern, als sie sein wollten wie Gott) absolut, ohne gesetztes Maß, Restriktion und Regel wissen, haben oder tun will, was er doch nur als Stückwerk in seinem Maße wissen, haben oder tun kann. Das läuft zuletzt auf eine fanatische Selbständigkeit in allen Stücken hinaus.
3) In der Verschwendung der Gemütskräfte auf eine Sache, wobei die anderen vergessen oder versäumt werden, auf welche man ebensoviel, wenn nicht mehr Kräfte verwenden sollte: wenn z.B. auf die Früchte der Heiligkeit des Lebens so sehr gedrungen wird, dass diesen Früchten die Mittel und Stützen unsers Heils nachgeordnet und zuletzt ganz vergessen werden.
4) In der unangemessenen Liebe zu geheimen, besonderen und außerordentlichen Dingen, welche in einen Mystizismus und ähnliche Übel zu degenerieren pflegt. Daneben auch in der Erwartung und dem Verlangen nach großen Dingen und Weltveränderungen, aus denen der Chiliasmus entsteht
5) In der Vermischung der Seelen- und Geisteskräfte, bzw. unserer eigenen Neigungen & Temperamente und des göttlichen Triebes: woraus bei ernsten Gemütern der sogenannte Rigidismus (die Gesetzlichkeit) zu entstehen pflegt.
6) In der gar zu großen Freiheit, die man der Einbildungskraft lässt, woraus endlich eine Herrschaft der Phantasie wird, die die Mutter des Enthusiasmus ist [siehe Punkt 1].
7) In der uns Menschen so allgemeinen und stark anhängenden Konfusion der Dinge, welche unterschiedlich erfasst und behandelt werden sollten (die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, vgl. hier und hier und hier).