Guter Zweifel, böser Zweifel. Auch ein Gedanke zur Jahreslosung

Wenn es eine Sache gibt, für die sich die selbsternannten Postevangelikalen selber loben, dann ist es wohl ihre Fähigkeit, „Zweifel auszuhalten“. Diese wird als eigene, besonders geistliche Fähigkeit beworben. So zum Beispiel bei Thorsten Dietz, der bei einer Buchbewerbung hervorhebt, man solle es „mit dem Herzen“ lesen, „nicht da, wo man Recht behalten will und sich keine Blöße geben mag, sondern da, wo es wehtut, wo es kribbelt vor Glück, zieht vor Sehnsucht oder drückt vor Traurigkeit“ und dass der Autor die „Floskeln, mit denen man sich sonst schützt“ vergessen mache, weil er „keine Theorien über Jesus“ vortrage. Aber ähnlich ist es auch bei Jürgen Mettes Evangelikalen-Buch, Thorsten Hebbels Freischwimmer, Thorsten Dietz‘ Weiterglauben, dem Hossa-Talk und Worthaus. Stets ist davon die Rede, dass man sich davon frei gemacht habe, dass „ohne klare Begrenzungen, Regeln, Maßstäbe und (Denk)Verbote alles wie ein Kartenhaus in sich zusammen falle“, man nun „ehrlich und aufrichtig“ mit sich, seinem Glauben und der Welt umgehen oder „einen unverstellteren Blick auf die Entstehungsgründe und die Eigenart des christlichen Glaubens“ ermöglichen wolle.

In dieser Eigenwahrnehmung sind die Protagonisten vor allem eines: Immer ein bisschen bessere Christen, nämlich: Besser zweifelnde Christen. Denn die anderen (Altevangelikalen) schützen sich mit Floskeln, lassen Zweifel und Wissenschaft nicht zu, lassen sich nicht mit unangenehmen Tatsachen konfrontieren, sondern schweigen sie tot. Sie leben in einer Welt der Denkverbote, der Abgrenzung, des Diskussionsverbots und haben so einen völlig verstellten Blick auf Welt, Kirche und Bibel. Sie stehen einfach nicht auf Zweifel, so der Vorwurf, während die Neuevangelikalen Meister des Zweifelns sind. Die Altevangelikalen bleiben vor dem Zweifel stehen, schlagen ihm die Tür vor der Nase zu, während die Postevangelikalen nicht vor, sondern im Zweifeln stehenbleiben. In diesem Wirbelsturm kommen sie schließlich zur Wahrheit, weil alles Unnötige weggeweht wird, unter anderem die ganzen frommen Grundsätze usw..

Schön, wenn man so ein Weltbild auf sich selbst hat. Der Zweifel als fromme Leistung, die man erbringen kann und mit der man besser ist als die anderen, von denen man sich somit, indem die Sache als die von den Verachteten verachtete Sache definiert wird, positiv abhebt. Nur ist das beim Stichwort Zweifel so eine Sache. Keine Frage, sicher gibt es eine gewisse Form des Vulgärevangelikalismus, der jeden Zweifel verbietet. Missbrauch und Missverständnis gibt es überall, wo es Menschen gibt. Ob das dann schon die Haltung der offiziellen Vertreter des Evangelikalismus träfe – bezweifelbar (vgl. die weitgehend lesenswerte Antwort von Thomas Schirrmacher auf Mettes Buch).

Aber selbst wenn die Vorwürfe stimmen würden – ist denn das besonders gute Zweifeln, das man selbst jederzeit herstellt, indem man alle Wahrheiten verwirft, wirklich gut?

Aus biblischer und lutherischer Sicht gibt es (mindestens) zwei Einwände.

Zum einen: Zweifel und Anfechtung sind nichts, in das ich mich selbst aktiv hineinbegebe. Ich werde von ihnen überfallen, ich mache sie nicht. Am echten Zweifel hat man keine Lust. er ist keine intellektuelle Spielerei. Er ist ernst. Im Paradebuch des angefochten Glaubenden, bei Hiob, ist das so offensichtlich, dass man es wirklich nicht übersehen kann: Hiob lebt ein gutes Leben. Hiob sucht weder Anfechtung, noch die Auseinandersetzung mit dem Teufel, noch sucht er, sich vor Gott als besonders fromm zu beweisen. Er wird von den Machenschaften des Teufels überfallen.

Zum anderen: Zweifel und Anfechtung sind nichts, in dem ich stehenbleiben soll. Man entgeht dem echten Zweifel nicht, aber man bleibt auch nicht in ihm stehen, sondern geht weiter. Wird von Gott weitergetragen, hin zur Gewissheit. Denn der Glaube glaubt schon, was noch sein wird. Er betrachtet die zukünftigen Dinge so, als wären sie schon geschehen. Was Gott von Anbeginn her verkündigt hat, so weiß er, ist bereits Wirklichkeit. Deshalb sagt Jesaja, „ein Sohn ist uns gegeben“, und deshalb weiß der angefochtene Glaube auch, dass Christus wiederkommen wird, dass die Anfechtung nicht endlos sein wird. Deshalb ringt Hiob mit Gott, aber er lässt nicht von ihm, bis er den Segen der göttlichen Zuwendung zu ihm erlangt.

Solcher Glaube ist so, wie es die Jahreslosung beschreibt. Im Zweifel ruft der Mann den Satz, in der Angefochtenheit. In diesem Moment kann er Gott nirgendwo spüren, Gott ist abwesend. Dieser verborgene Gott ist es, dem wir in der Welt, in der Schönheit der Natur und wo auch immer, begegnen. Wenn es ernst wird, wenn der Orkan niederbricht, wenn der Wald brennt, dann ist dieser Gott und jedes Gefühl zu ihm weg, deus absconditus. Der Gott, der da ist, der sich in der Schrift offenbart, der zeigt sich, wenn wir die Ernsthaftigkeit ausgehalten haben. Am Ende, sagt Hiob, haben seine Augen den Herrn gesehen. Am Ende steht nicht der Zweifel, sondern das Vertrauen, die Gewissheit, deus revelatus. Das ist, worauf die Lutheraner in der Reformationszeit und später in der Auseinandersetzung mit anderen Konfessionen überaus großen Wert legen: es kann doch nicht sein, dass ihr die Leute verzweifeln lasst! Es kann doch nicht sein, dass ihr sie an der ausgestreckten Hand verhungern lasst: „Es könnte sein, dass Gott dich liebt, wenn du nur genug …“. Dabei vergessen sie nicht, dass Anfechtung notwendig ist, ja, dass Anfechtung und Zweifel etwas ist, das Gott schickt. Doch er schickt es, damit wir vom verborgenen Gott vordringen zum offenbarten Gott. Damit unsere Selbstbilder über Gott, unsere gefühlte Wahrheit zerbricht, und nur der Gott übrig bleibt, der dem festen Grund seiner eigenen Offenbarung (in der Schrift) entspricht. Zweifel kann göttlich sein, ja. Aber Gott ist es auch, der aus dem Zweifel in neues, vertieftes Vertrauen hinausführt, der uns durch den Zweifel hindurch Schauen lässt die Wunder seiner Herrlichkeit.

 

 

Bild: WikiCommons Duccio di Buoninsegna – http://www.aiwaz.net/panopticon/maesta-altarpiece-incredulity-of-saint-thomas/gi146c16, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3902349

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert