Die Heilige Schrift ist das Wort Gottes, das, nach seinem Willen von Propheten, Evangelisten und Aposteln niedergeschrieben, die Lehre von seinem Wesen und seinem Willen vollkommen und deutlich entfaltet, damit die Menschen durch dasselbe zum ewigen Leben unterwiesen werden.
So definierte der Jenaer Theologieprofessor Johann Gerhard die Heilige Schrift in seiner Dogmatik („Loci theologici“), deren erster Band großartigerweise 2019 in deutscher Übersetzung erschienen ist (nachdem diese Dogmatik, obwohl sie als eine der bedeutendsten des Luthertums gilt, 400 Jahre lang nur lateinisch verfügbar war – auf englisch dagegen gibt es schon seit geraumer Zeit weitaus mehr Bände).
Diese Schrift ist, so hält es die Konkordienformel fest, „die einzige Regel und Richtschnur, nach welcher zugleich alle Lehren und Lehrer gerichtet und beurteilt werden sollen.“
Warum die Schrift diese Funktion einer „Richtschnur“ hat, wird auch bei Gerhard ausgeführt. Für ihn begründet sie sich in folgenden 7 Punkten (Zusammenfassung):
1. aufgrund der Bezeichnung, die die Schrift sich selbst zuspricht (vgl. Gal 6,16)
2. aufgrund der göttlichen Anordnung: Die Propheten und Apostel verlangen, dass Glauben und Leben am Wort Gottes geprüft werden muss (vgl. Dtn 5,32; Jos 23,6; Jes. 8,19f; Joh 5,39)
3. weil Gottesdienstreformen in der Schrift nur aufgrund der göttlichen Offenbarung (der Schrift) eingeführt wurden (vgl. 2. Kön 18, 3-6; 2. Kön 22,2)
4. aufgrund der Berufung von Christus und den Aposteln auf die Schrift (vgl. Mt 4,4; Lk 4,4; Mt. 19,4; Mt 22,29.31; Mk 9,12; Apg 3,20ff)
5. aufgrund der ihr gezollten Anerkennung (vgl. 2. Tim 3,16)
6. weil die Schrift alle kirchlichen Normen erfüllt: Sie ist durch öffentliche Autorität angenommen, ist allen gemeinsam, ist gesichert, fest und unfehlbar, ist dem an ihr Gemessenen in jeder Beziehung adäquat, weil sie alles Heilsnotwendige vollkommen und deutlich lehrt.
7. weil nirgendwo eine andere zuverlässige und unfehlbare Richtschnur gegeben ist, weder in eigenen Offenbarungen, noch in der Vernunft, noch in ungeschriebenen Worten und Überlieferungen (vgl. Hebr 1,1; 2. Kor 10,5; Joh 21,23)
Welchen Sinn hat eine solche Aufstellung? Das hat sich auch schon Gerhard, in Hinsicht auf sein ganzes Buch gefragt. Er benennt folgende Gründe, sich dogmatisch mit dem Lehrartikel von der Heiligen Schrift zu beschäftigen:
Einmal wird uns gelehrt, die Autorität und Majestät der Schrift zu erkennen (und auch anzuerkennen), und dass wir auch zurechtgewiesen werden, nicht den Lehren von irgendwelchen Häretikern hinterherzulaufen.
Zum anderen werden wir dazu angehalten, uns durch tägliche Lesung und Meditation mit der Schrift vertraut zu machen. Sie ist nämlich, so Gerhard, ein vom Himmel gesandter Brief Gottes, der uns über dessen Wesen und Willen unterrichtet und den Weg zum Himmel weist. Wir werden getröstet, weil wir die unschätzbare Güte Gottes daran erkennen, dass er uns diesen Brief gegeben hat.
Gerhard betont also bei der Frage danach, was uns die Schrift bringt, dass sie ein Geschenk an uns ist. Oder wie Luther im Kleinen Katechismus sagt: Der Weg des Heiligen Geistes mit uns:
Ich glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten; gleichwie er die ganze Christenheit auf Erden beruft, sammelt, erleuchtet, heiligt und bei Jesus Christus erhält im rechten, einigen Glauben; in welcher Christenheit er mir und allen Gläubigen täglich alle Sünden reichlich vergibt und am Jüngsten Tage mich und alle Toten auferwecken wird und mir samt allen Gläubigen in Christus ein ewiges Leben geben wird. Das ist gewißlich wahr.
Gerhard-Zitat aus und Gerhard-Zusammenfassungen nach: Thomas Kothmann (Hrsg.): Von der Heiligen Schrift – Johann Gerhard. Übersetzt von Heinrich Martin Wigant Kummer. Bibliothek Lutherischer Klassiker Bd. 2, Neuendettelsau 2019, 27. Kapitel, 599; 21. Kapitel, 477-496; 26. Kapitel, 598.