Du kannst dein Christwerden nur empfangen – zum Geburtstag Luthardts

Dieser Tage feierte Christoph Ernst Luthardt, der Leipziger Theologieprofessor, der die Fakultät „zu einer im 19. Jh. sonst nicht erreichten Höhe“* führte, seinen 198. Geburtstag. Ein guter Anlass, ihn hier zu Wort kommen zu lassen. Nun haben wir bisher öfter seine Apologetischen Vorträge zugänglich gemacht, aber heute wollen wir aus seiner „Glaubenslehre“ zitieren. Den diese etwas unbekanntere Schrift stellt dogmatisch gesehen seinen systematischsten Entwurf dar. Wenn er auch weit mehr bekannt ist für sein „Kompendium der Dogmatik“, ist hier doch viel mehr Luthardt selbst bzw. lutherische Lehre in direkterer Form als im Kompendium zu finden.

Unser Kapitel ist dem 5. Teil, „Die Aneignung der in Christo Jesu widerhergestellten Gottesgemeinschaft“, entnommen und eröffnet den Abschnitt „Die persönliche Heilsaneignung“.

„1. Wie Christus selbst, in welchem unser Heil persönlich gegeben und außer uns vorhanden ist, nicht eine Frucht der Menschheit, sondern als ein Neues, das ist als ein Wunder, in den Zusammenhang der Geschichte des menschlichen Geschlechts hineingewirkt ist, so ist auch die Aneignung dieser neuen, in Christo gegebenen tatsächlichen Wirklichkeit an den Menschen und sein psychologisches Innenleben ein Neues, das in den Zusammenhang des bisherigen Personlebens hineintritt. Was von Christo in der Geschichte der Menschheit gilt, das gilt dementsprechend auch vom Christwerden in der Geschichte des Einzelnen – es ist eine Tat Gottes, wie objektiv so subjektiv. Wie die Menschheit Christus nicht erzeugen, sondern nur empfangen konnte, so kann auch der Einzelne sein Christwerden nicht selbst wirken und es erzeugen, noch etwas dazu tun, sondern kann es nur empfangen. Wohl gab es Vorbereitungen der alten Welt, im inneren geistigen wie im äußeren weltgeschichtlichen Leben, auf das Neue, das werden sollte; aber das Neue war doch ein Neues und obendrein bei allem Anschluss an das Alte doch eine große Verneinung der eigenen bisherigen Leistungen. So ist es auch beim Werk der Heilsaneignung und der Hineingeburt des neuen Menschen in den Zusammenhang des alten. Mit anderen Worten: es ist ein Werk der freien Gnade, nicht bloß der unverdienten, sondern auch der frei sich selbst bestimmenden und allein wirksamen Gnade. Wohl muss der Ackerboden aufgelockert werden, um den Samen in sich aufzunehmen. Aber der Same ist doch etwas schlechthin Neues und eine Macht des Neuen. Also ist auch die heilsaneignende Gnade nicht ein Erzeugnis der Natur, sondern übernatürlicher Art. Danach hat auch die Kirchenlehre das Verhältnis der Heilsgnade zum eigenen Willen des Menschen stets bestimmt. Es war der große Kampf zwischen Augustin und Pelagius, der diese Erkenntnisse in der Kirche sicherte, die sich dann in der Reformationszeit erneuerten. Dementsprechend wird denn von der Gnade in ihrem Verhältnis zum menschlichen Willen gelehrt, dass sie eine zuvorkommende – vor allem eignen Wollen und Denken -, eine vorbereitende, welche die Hindernisse des eigenen Widerstrebens zu beseitigen sucht, eine wirkende, welche von sich aus den Anfang des Neuen wirkt und setzt – und erst daraufhin eine mitwirkende sei, das heißt, mit dem erneuerten Denken und Wollen zusammengehende, so dass aus der ersten Einwirkung auf das Innere des Menschen dann eine Einwohnung in seinem inneren Personenleben werde.

2. Die innere wirksame Macht und das Prinzip des Neuen nennen wir mit der Schrift und der Kirce den heiligen Geist. Ehe der Herr von den Seinen Abschied nahm, verhieß er ihnen in den großen Trost- und Verheißungsreden des letzten Abends (Joh 14-16) als seinen Stellvertreter und ihren Berater, Führer und Tröster den heiligen Geist, den er vom Vater aus ihnen senden werde, damit dieser sein Werk an ihren Seelen vollziehe und ihn selbst in ihrem Inneren verkläre, das ist, in das volle Licht stelle und zu Ehren bringe. Nicht als wollte er etwa zu Gunsten des Geistes gleichsam abdanken, so dass in diesem Sinne der Geist an seine Stelle trete. „Christus will sich nicht aus dem Mittel tun“, sagt Luther – er bleibt stets der Mittler zwischen uns und Gott. – Er selbst sendet den Geist und ist gegenwärtig im Geiste und durch ihn wirksam. Wie er, da er auf Erden war, im Dienste des Vaters stand und der Vater das Heilswerk durch ihn wirkte, so nun, da er zu Gott erhöht im Himmel ist, steht der Geist in seinem Dienste und tut sein Werk an den Seelen der Menschen. Es beginnt nicht etwa ein Zeitalter des Geistes nach dem Zeitalter des Sohnes, wie seit den Tagen der „Montanisten“ mehrfach Schwärmer meinten. Denn „nicht von sich selber wird er reden, sondern was er hört, das wird er reden -, er wird mich verherrlichen, denn von dem Meinigen wird er es nehmen und euch verkündigen“ (Joh 16,13f). Es ist also die Gegenwart Christi selbst, die in ihm gegeben ist – nicht etwa unsere Vergegenwärtigung oder Erinnerung Christi oder dergleichen, sondern Christus ist wirksam gegenwärtig in ihm. Nicht als wäre dieser Geist eine schlechthin neue Größe, sondern es ist der Geist, in welchem Gott von der Schöpfung an weltgegenwärtig war, in welchem er allem Geschaffenen und insonderheit dem Menschen einwohnte, in welchem er durch die Propheten redete und die Frömmigkeit der Frommen in Israel und auch der Jünger Jesu schon vor ihrer Jüngerschaft wirkte. Wenn es nun dennoch von ihm heißt (Joh 7,39): heiliger Geist war noch nicht, so heißt das: so wie er eben nachher war als der Geist und die Macht der neutestamentlichen Heilsaneignung. Denn das Heil aneignen konnte er nicht, ehe das Heil selbst vorhanden war, nämlich in Jesu dem Gestorbenen, Auferstandenen und zu Gott Erhöhten. Als solcher Geist der neutestamentlichen Heilszeit ist er Eigentum der Jünger seit Pfingsten und seit es eine Gemeinde Jesu Christi auf Erden gibt, in welcher der Erhöhte seine Wohnung im Geiste und sein Mittel der Wirksamkeit und seines Dienstes hat. Dieser Geist Jesu Christi ist daher auch für das Bewussstsein der Jünger etwas Neues, nicht bloß wie in der Frage des Paulus an die Johannesjünger in Ephesus (Apg 19,2ff), sondern auch als die Macht des neuen Lebens der Wiedergeburt (Röm 8,1ff), und für das christliche Bewusstsein gegenüber der Welt. In diesem Geistesempfang mündet die trinitarische Bewegung des Heilsgottes – vom Herzen Gottes ausgehend, in Jesu Christo in der Welt verwirklicht, in den Herzen der Menschen zum Ziel kommend und so Gott und Mensch innerlich zusammenschließend. Durch die ganze apostolische Literatur des Neuen Testaments geht diese trinitarische Disposition der Heilsdarstellung hindurch, wie in der schon oben erwähnten großen Hauptstelle Eph 1,3-14, so auch sonst (vgl. Eph 3,14-17; 2. Thess 2,13; Tit 3,4-6; Hebr 6,4-6; 1. Petr 1,2-17-21). So sollte die Menschheit wieder zur Menschheit Gottes werden. Es sind gleichsam die Stationen des Wegs der Rückkehr, welche durch die sogenannte Heilsordnung bezeichnet werden.“

Aus: C. E. Luthardt, Die christliche Glaubenslehre, Leipzig 1898, 428-431

Professor Luthardt

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