1 Was haben dann die Juden für einen Vorzug, oder was nützt die Beschneidung? 2 Viel in jeder Weise! Vor allem: Ihnen ist anvertraut, was Gott geredet hat. 3 Was nun? Wenn einige untreu wurden, hebt dann ihre Untreue die Treue Gottes auf? 4 Das sei ferne! Es bleibe vielmehr so: Gott ist wahrhaftig, und alle Menschen sind Lügner; wie geschrieben steht (Psalm 51,6): »Damit du recht behältst in deinen Worten und siegst, wenn man mit dir rechtet.«
Röm 3
Das dritte Kapitel des Römerbriefs lohnt nicht nur deshalb der gründlichen Betrachtung, weil es Gesetz und Evangelium und die Rechtfertigung aus Glauben allein so wunderbar erklärt – man denke allein an die beiden Verse 24 und 25:
Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollen, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.
Es lohnt auch wegen seiner Lehre von der Heiligen Schrift. Denn die bietet Paulus hier gleich mit. Schon im zweiten Vers des Kapitels schreibt er: [Den Juden] ist anvertraut, was Gott geredet hat.
Genau das sei ihr Vorzug, ihre Besonderheit. Was bedeutet das? – Für Paulus ist das Alte Testament eben nicht nur eine Sammlung von Erlebnissen von Menschen, die in den Ereignissen irgendwo auch Gott entdecken (so eine beliebte neuzeitliche Bestimmung der Bedeutung der Bibel), sondern eben das: Wort Gottes. Klar, in unterschiedlichsten Formen und je nach dem ist auch unterschiedlich damit umzugehen. Schon Paulus differenziert im 21. Vers: „Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten.“ – Nicht ein starres Buch, sondern Gesetz und Propheten, verschiedene Gattungen also. Das stimmt, und das andere stimmt auch: Was Gott geredet hat.
Bedeutet aber nun, dass Gott es den Juden anvertraut hat, dass wir einfach nur auf jüdische Weise das AT lesen müssen und alles ist gut? So einfach macht es Paulus nicht. Was nun? Wenn einige untreu wurden, hebt dann ihre Untreue die Treue Gottes auf? Im Kontext der Frage nach der Heiligen Schrift meint dieser Vers: Es braucht eine christliche Lesung des AT. Denn zur Zeit des Paulus gab es eine Menge christlicher Juden, er selbst war einer. Und die Juden, die Christus nicht folgten, sind für Paulus die, die „Eifer für Gott haben, aber nicht mit Erkenntnis“ (Röm 10). Sie sind also nicht von den Christen ersetzt worden und nicht mehr Gottes Volk – aber sie erkennen nach Paulus das Ihnen anvertraute nicht. Einfach nur jüdische Auslegung des AT, das wäre für Paulus nicht der Sinn der Sache, auch wenn man sicher viel anhand der genauen Beobachtungen oder in der Art und Weise des Umgangs mit der Bibel aus der jüdischen Tradition lernen kann. Paulus liest das AT auf Christus, auf die große Geschichte des Heils für alle Menschen hin. Das müssen wir auch. In dem Sinne müssen wir „Pauliner“ werden: Nicht engstirnig meinen, wir seien als Heiden etwas besonderes, aber eben fokussiert auf unseren Herrn bleiben.
Die Heiden, die nicht der Gerechtigkeit nachjagten, haben Gerechtigkeit erlangt, nämlich die Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt.
Röm 9
Da steht nichts von einem eigenen Verdienst, von einem besonderen Ruhm, nein, von Gnade, Geschenk steht da etwas. Dass uns die Gerechtigkeit zugefallen ist, nicht wegen uns, sondern wegen Gott. Nur unter dieser Voraussetzung können wir uns das AT aneignen – nicht als etwas exklusives, sondern als etwas, das für uns durch Christus Bedeutung hat – wie andere damit umgehen, soll uns nicht bekümmern, wir haben es ihnen nicht wegzunehmen. Denn es ist und bleibt das, was Gott geredet hat und kann damit in einer Weise wirken, die wir uns nicht einmal vorstellen können. Das zuzulassen und nicht einhegen zu wollen bedeutet, auf Gott zu vertrauen.