Das Verständnis der Kirche als Institution und das lutherische Kirchenverständnis

Ist von Christen die Rede, ist schnell auch von Kirche die Rede. Dass dieser Begriff keineswegs eindeutig ist, wird allerdings schnell deutlich: Außenstehende meinen, wenn sie von Kirche reden, immer die römisch-katholische Kirche, die die Kreuzzüge gemacht habe. Die EKD hat „Kirche“ im Namen, ist aber gar keine, sondern ein Bund von Kirchen.

Was glaubt das Luthertum eigentlich, was Kirche ist? Und was sind die praktischen Konsequenzen daraus?!

Vielleicht ist einem im ersten Moment gar nicht klar, warum man sich überhaupt damit beschäftigen soll. Aber a) ist der Kirchenbegriff im 7. Artikel des Augsburger Bekenntnisses ein sehr interessanter und b) man hat immer eine Idee davon was Kirche ist, die bei den eigenen Gedanken, oft eher unbemerkt, im Hintergrund mitläuft. Es lohnt sich, dieses versteckte Zahnrad einmal auszubauen und genauer zu betrachten.

Herkunft:

Der lutherische Kirchenbegriff verdichtete sich im Druck der Debatten und Gegebenheiten der Reformationszeit. Die katholische Kirche hatte und hat einen institutionellen Kirchenbegriff: Die Kirche als Institution ist, mit Petrus als ihrem Felsen, von Gott gegründet und das A und O. Bis zum 2. Vatikanischen Konzil hatte man außerhalb der Kirche keinerlei Chance auf den Himmel. In der Kirche … nun das kann man nicht so einfach beantworten. Die Ursünde, die ist in der Taufe vergeben worden. Was aber ist mit den Sünden, die danach kommen? Wie kann, um diesen kontextschweren Satz zu verwenden, ich mir meines Heils sicher sein?

Was ist die Kirche denn?

Die Frage, die von den Wittenberger Reformatoren beantwortet werden musste, war die, wie es in dieser Idee der Kirche als sozusagen weltlicher und geistlicher Institution in einem, zu so gravierenden Missständen und, viel schlimmer noch, zu solch tiefgreifenden Fehllehren kommen konnte. Was ist das Zeichen der Kirche, wenn nicht die apostolische Sukzession, die gottgegebene Hierarchie, das Lehramt, die Riten? CA 7 gibt folgende Antwort:

Es wird auch gelehrt, daß allezeit müsse Eine heilige christliche Kirche sein und bleiben, welche ist die Versammlung aller Gläubigen, bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut des Evangeliums gereicht werden.

Denn dieses ist genug zu wahrer Einigkeit der christlichen Kirche, daß da einträchtiglich nach reinem Verstand das Evangelium gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden. Und ist nicht not zu wahrer Einigkeit der christlichen Kirche, daß allenthalben gleichförmige Zeremonien, von den Kirchen eingesetzt, gehalten werden; wie Paulus spricht Eph. 4,5.6: „Ein Leib, ein Geist, wie ihr berufen seid zu einerlei Hoffnung eures Berufs, Ein Herr, Ein Glaube, Eine Taufe.“

Also: Ja, es gibt diese eine schon immer gewesene Kirche. Doch sie ist nicht mit einer spezifischen weltlichen Institution gleichzusetzen, sondern sie besteht in einem Geschehen: in der Verkündigung des Evangeliums, nämlich der ganzen Lehre Christi, und in der Reichung der Sakramente diesem Evangelium gemäß und drittens in den Gläubigen, die Lehre und die Sakramente empfangen. Wie ist also die ungebrochene Einheit der Kirche über die Zeiten hinweg bis hin zu Christus und seinen Aposteln zu verstehen? Nicht zuerst in einer ungebrochenen Reihe der Amtsübergabe, nicht in dem einen „Stuhl Petri“, sondern in der Verkündigung der einen Lehre (Jesu Wort). Wo also diese Lehre nicht verkündet wird, da ist auch keine Kirche, egal wie man sich nennt oder welchen Status man in Anspruch nimmt. Aus dieser Lehre fließen die Sakramente, denn sie beruhen auf konkreten Anweisungen Jesu: „Esst, trinkt, solches tut“, „Tauft“, „Wem ihr die Sünden vergebt, denen sind sie vergeben“. Und daher sind die Sakramente zuerst Sündenvergebungsmaschinen, denn sie sind nicht losgelöst daherschwebend, oder gar auf uns Menschen bezogen, sondern sie beziehen uns Menschen auf das zentrale Werk Christi, die Versöhnung der Menschheit mit Gott durch sein Leiden, Sterben und Auferstehen… „Wer dies glaubt und getauft ist…“

Konsequenzen

Daraus ergibt sich jedoch auch eine, historisch sofort nachweisbare, Konsequenz. Die Idee eines, salopp gesagt, großen Vereins, ist inhaltlich dehnbar und hat daher Platz, und, wie man sah, eben zuviel Platz, für verschiedene Auffassungen. Auch die katholische Kirche z.B. kann ja entscheiden, wann etwas ihr nicht mehr passt. Aber es ist eben letztenendes sie selbst, die entscheidet, kraft der ihr von Gott gegebenen Autorität.

Demgegenüber richtete die lutherische Kirche ihr inhaltlich definiertes und im Geschehen begriffenes Kirchenverständnis auf. Jedoch gibt es dann im Bezug auf diese Inhalte keine Wahlfreiheiten mehr. Nun, eigentlich gab es die auch vorher nicht, das Christentum war schon immer an eine konkrete Lehre, das Evangelium, z. B., des Galaterbriefs 1, 8 und 9, gebunden. Doch muss sich diesem Anspruch des reinen Lehrens jede lutherische Kirche als weltliche Institution unterwerfen. So wurden im 16. Jahrhundert die Visitationen eingeführt und Superintendenten eingesetzt, die eben dieses Lehren gewährleisten sollten, z.B. durch regelmäßige Prüfung der Pfarrer.

Fazit

Man darf also Staat und Kirche im Kopf nicht durcheinanderbringen. Der Staat ist eine weltliche Macht, die zum Wohl ihrer Untertanen existiert. Sie kann und sollte daher, immer bis zu einem gewissen Grade, Freiheit gewähren. Eine Freiheit in der zum Beispiel verschiedene Kirchen und Religionsgemeinschaften ihre Lehre vortragen können. Eine christlichen Kirche selbst, speziell die lutherische, jedoch, hat nicht die Aufgabe, eine solche Plattform zu sein. Sie ist die Bewahrerin und Verkünderin einer spezifischen geschichtlichen Selbstoffenbarung Gottes, bis dieser Gott, wie er es offenbart hat, wiederkommt. Und daher muss sie Sorge tragen für das, was sie verkündet. Die sogenannte Lehrzucht kann demnach also ein äußerlich notwendiges Zeichen eines christlichen Kirchenkörpers genannt werden. Wer demnach Freiheit des Bekennens und Lehrens als Ideal in einer Kirche umsetzen oder erhalten will, hat keinen lutherischen Kirchenbegriff sondern eben einen institutionellen. Und damit schafft er de facto mehrere Kirchen innerhalb einer Kirche, die nach dem lutherischen Kirchenbegriff dann also keine Kirche mehr ist, sondern ein Verein zur Förderung religiöser Zusammenarbeit.

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