Mit Popcorn in der Vorlesung bei Harleß: Über den Wunsch, zeitgemäß zu sein und seine Konsequenzen

Die Gültigkeit der biblischen Offenbarung in der aktuellen Zeit wird gerne immer mal wieder in Frage gestellt  (seit ungefähr 1900 Jahren). Das ist doch alles veraltet, man müsste das mal weiterschreiben (so ein aufgeregt mit den Flügeln wedelnder Autor eines kleinen Thesenbüchleins letzthin mal wieder) etc. Nichts neues, aber gern erinnern wir immer mal wieder daran, was lutherische (und damit christliche) Kirche ausmacht. Und so haben wir wieder mal mitgeschrieben, was Adolf Harleß uns zu sagen hat:

Aber eben wider [das luthersiche und altkirchliche] Bekenntnis kehrt sich der Geist der Zeit. Und zwar unter dem Titel, dass in der Kirche des Evangeliums nicht „M e n s c h e n s a t z u n g e n“ die Herrschaft haben dürften. Die armen Reformatoren! Von eingeschlichenen Menschensatzungen dachten sie die alte Kirche zu reinigen, und sind nach dem erleuchteten Urteil dieser Zeit nun selbst auf solche Satzungen verfallen! Hätten sie doch lieber geschwiegen! Aber so hielten sie sich vorwitzig an das Wort des Apostels, der da spricht: „So man von Herzen glaubt, so wird man gerecht, und so man mit dem Munde bekennt, so wird man selig.“ Und da der Glaube aus dem G e h ö r des Wortes kommt, so wäre ja vielleicht gar besser gewesen, sie hätten auch auf das Wort nicht g e h ö r t. Denn vom G e h ö r kam es zum Glauben, und vom Glauben zum Bekennen. […]

Ja, hütet euch vor dem Gehör des Wortes selbst, so es Glauben und Bekennen zu wirken droht. Doch man muss das Geschrei über Menschensatzung nicht so streng und wörtlich nehmen. Denn man ließe sich [trotz ihres menschlichen Ursprungs] Bekenntnis, Predigt, Gesangbuch, Agende u.s.w. ohne Bedenken gefallen; nur müsste dies Alles zeitgemäß sein. Also zeitgemäß! Was heißt denn dies eigentlich? Die Zeit an sich ist stumm, und jetzt und sagt gar nichts. Also wird zeitgemäß sein, was den Menschen einer Zeit als angemessen erscheint. Aber von den Menschen gilt, und zwar nicht bloß in Bezug auf religiöse Fragen: So viel Köpfe, so viel Sinne. Wer soll denn nun entscheiden, was zeitgemäß ist? Die Kopfzahl? Da hätten wir im besten Fall nur eine Entscheidung darüber, was die Mehrzahl der Menschen in einer Zeit für angemessen erachtet. Was geht denn aber einem selbständigen Menschen selbst in Dingen rein menschlichen Forschens und Wissens, geschweige denn in religiös-sittlichen Fragen, die Stimmenmehrheit an? Gilt ja doch überall von den Gründen für eine Sache nicht, dass man da zählt, sondern dass man die Gründe abwägt.

Aber was will denn nun wieder das Wort zeitgemäß oder in einer Zeit berechtigt für Dinge des Christentums und der christlichen Religion? Denn da handelt es sich nicht um eine Geltung und Berechtigung für diese oder jene Zeit, sondern für alle Zeit, ja über die Zeit hinaus. Denn das „ewige Evangelium“ (Offenb. 14, 6) ist nicht eine Botschaft dieser oder jener oder für diese und jene Zeit, sondern für alle Zeiten und Geschlechter, und bleibt, „auch wenn Himmel und Erde vergehen“ (Matth. 24, 35 :c. 1 Petr. 1, 25). Also wird es auch nicht viel helfen, wenn man sich etwa statt der Menge die in der jeweiligen Zeitbildung Fortgeschrittensten als diejenigen denkt, welche in Sachen des Christentums und der christlichen Religion zu bestimmen hätten, was zeitgemäß sei. Denn mit dieser Bildung steht es bald so, bald anders; bald geht es rückwärts, bald vorwärts; bald ist es ein wirklicher Fortschritt, bald eine zeitgemäße Mode; in allen Fällen aber ein Produkt menschlichen Geschmacks, menschlichen Wissens und Urteilens, während eine Zeit, die von Gott und göttlichen Dingen wirklich etwas zu wissen behauptet, entweder in der Tat etwas auf Grund nicht-menschlicher Erkenntnisquellen weiß, oder darüber etwas aus bloß menschlicher Gewissheit wissen will, und eben deshalb in der Tat nichts mit Gewissheit weiß.

Haben wir nicht über Gott – sein Verhältniß zu uns und das unsrige zu ihm – ein Licht aus Gott, so hilft alles menschliche Wissen und Forschen nichts und wir sitzen noch in Schatten und Finsterniß des Todes. So stehen die Dinge. Und darum kein Wunder, daß auch die menschliche Weisheit dieser Tage folgerichtig der vergeblichen Anstrengung müde wird, und nicht bloß zeit-, sondern auch sachgemäß damit endet, von Gott und göttlichen Dingen überhaupt nichts wissen zu wollen.

Adolf von Harleß. An die deutschen Gemeinden lutherischen Bekenntnisses, Sendschreiben, 1873, Gotha, S. 18 & 19

 

Ergänzend sei noch die Erinnerung der Konkordienformel angefügt:

Es werden aber hiermit andere gute, nützliche, reine Bücher, Auslegungen der Heiligen Schrift, Widerlegungen der Irrtümer, Erklärungen der Lehrartikel nicht verworfen, welche, wofern sie [den Bekenntnisschriften] gemäß, als nützliche Auslegungen und Erklärungen gehalten und nützlich gebraucht können werden; sondern [in den Bekenntnisschriften hat man] eine einhellige, gewisse, allgemeine Form der Lehre, dazu sich unsere evangelischen Kirchen sämtlich und insgemein bekennen, aus und nach welcher, weil sie aus Gottes Wort genommen, alle andern Schriften, wiefern sie zu probieret und anzunehmen, geurteilt und reguliert sollen werden.

Denn dass wir [diese] Schriften, nämlich die Ausburgische Konfession, Apologie, Schmalkaldischen Artikel, Großen und Kleinen Katechismus Lutheri,[zusammen mit der Konkordienformel zum Konkordienbuch, also zur Sammlung der Bekenntnisse der Lutherischen Kirche] einverleibt, ist der Ursache geschehen, daß solche für den gemeinen, einhelligen Verstand unserer Kirchen je und allewege gehalten worden, als die auch von den vornehmsten, hocherleuchteten Theologen dieselbe Zeit unterschrieben und alle evangelischen Kirchen und Schulen innegehabt; wie sie auch, inmaßen hievor vermeldet, alle geschrieben und aus[ge]gangen, ehe die Zwiespaltungen unter den Theologen Augsburgischer Konfession entstanden; und dann, weil sie für unparteiisch gehalten und von keinem Teil derer, so sich in [den] Streit eingelassen, können oder sollen verworfen werden, auch keiner, so ohne Falsch der Augsburgischen Konfession [zugetan] ist, sich dieser Schriften beschweren, sondern sie als Zeugen gerne annehmen und gedulden wird: so kann uns niemand verdenken, dass wir auch aus denselben Erläuterung und Entscheid der streitigen Artikel nehmen und, wie wir Gottes Wort als die ewige Wahrheit, zum Grunde legen, also auch diese Schriften zum Zeugnis der Wahrheit und für den einhelligen rechten Verstand unserer Vorfahren, so bei der reinen Lehre standhaftig gehalten, einführen und anziehen.

Konkordienformel, Solida Declaratio, Von dem summarischen Begriff

 

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