Einige Worte zu Johann Arndt oder wie man ein guter Arndtist werden könne

Manche Leser waren vielleicht überrascht, letzte Woche ein Gebet von Johann Arndt auf unserem Blog zu finden. Ist Arndt nicht ein Proto-Pietist, ein Pietist, bevor es die Pietisten gab – quasi der Erfinder des Ganzen (und für manche der zweite Erfinder nach Luther)? So kann man es zumindest immer wieder hören und lesen. Weil Arndt „fromm“ war, das heißt, weil er ein Andachtsbuch geschrieben hat, und dieses Buch später von Pietisten verwendet wurde, muss er ja auch Pietist gewesen sein, denn zwischen Luther und den Pietisten gab es keine frommen Theologen (und wenn doch mal einer etwas frommes gesagt hat, war er mit Sicherheit eigentlich ein Pietist, wie es z.B. im Zuge einer Rezension des Handbuchs von Martin Chemnitz behauptet wurde).

Also: Ist Arndt ein früher Pietist (und somit ein schlechter konfessioneller Lutheraner)?

Zunächst: Nur weil Pietisten so etwas behaupten, muss es ja noch lange nicht stimmen. Um Arndts Einstellung nachzuvollziehen, muss man dagegen prüfen, wie er zur lutherischen Lehre (d.h. zum Konkordienbuch) stand. Auch die Begründung, weil er so viel Einfluss auf den Pietismus gehabt habe, müsse er doch selbst einer gewesen sein, ist nicht stichhaltig. Arndt hatte auch viel Einfluss auf Johann Gerhard. Möchte ernsthaft jemand behaupten, Johann Gerhard sei Pietist gewesen?

Was kann man also über Arndt aus konfessionell-lutherischer Perspektive sagen?

1) Seine Stellung zur Konkordienformel: 1590 protestierte er gegen die Abschaffung des Exorzismus in der Taufe und weigerte sich, ein neues Bekenntnis anstatt der Konkordienformel anzunehmen, wie es der anhaltische Landesfürst durchsetzen wollte. In der Folge verlor er sein Pfarramt und wurde des Landes verwiesen. Arndts Protest resultierte auch aus der Sorge, dass der Landesfürst den Calvinismus einführen wolle (was dann tatsächlich geschah). Die Stellung Arndts zum lutherischen Bekenntnis ist insofern sehr eindeutig. Er hat auch später nie Stellen in Gegenden angenommen, die nicht lutherisch gewesen wären oder in denen nicht das Konkordienbuch gegolten hätte. Auch hat er 1619 eine Kirchenordnung für das Fürstentum Lüneburg, in dem er Generalsuperintendent war, herausgegeben, in der die Geltung der Konkordienformel eindeutig festgehalten wird. Merkmal des Pietismus ist es jedoch, dass so verkrustet und institutionell wirkende Überzeugungen, wie ein kirchenrechtlich festgelegtes Bekenntnis, grundlegend kritisch gesehen und abgetan werden. Einigkeitsmerkmal des Christen ist hier die Frömmigkeit in Tat und Emotion und nicht das bloße Bekenntnis zu Inhalten. Wer ein guter Arndtist sein will, muss die Konkordienformel lieben lernen.

2) Lutherischer Widerspruch: Der Württemberger Lutheraner Lucas Osiander d. J. hat Arndts Schriften (nach dem Tod Arndts) widersprochen. Aber das bedeutet nicht, dass „das Luthertum“ ihm widersprochen hätte. Johann Gerhard hat Arndt vielfältig aufgegriffen. In einem anderen Streit, zu seinen Lebzeiten, haben ihn die theologischen Fakultäten Wittenberg, Jena und Königsberg verteidigt. Ihn unterstützt haben auch Glassius, Geier, Dannhauer und H. Müller, allesamt Vertreter der lutherischen Orthodoxie. Was aufzeigt, dass das Luthertum damals untereinander (auch heftig) diskutiert hat und immer im Sinne der Kirche gestritten hat, wobei unterschiedliche Antworten möglich waren. „Das Luthertum“ hat Arndt nicht verteufelt oder aus seinen Reihen ausgeschlossen.

3) Die Heimlichkeitsthese: Manchmal kann man lesen, Arndt habe sich eben nur aufgrund des Drucks der bösen lutherischen Orthodoxie weiter zum lutherischen Bekenntnis bekannt, aber eigentlich – wenn er gekonnt hätte wie gewollt – hätte er das alles nicht ernst genommen. Dagegen spricht nicht nur die anhaltische Episode (siehe Punkt 1). Dagegen spricht auch, dass Arndt einfach in „weniger lutherische“ Gebiete hätte wechseln können, also z.B. solche ohne Bekenntnis zur Konkordienformel. Und dagegen spricht letztlich, dass er sich noch auf dem Sterbebett zum ungeänderten Augsburgischen Bekenntnis und zur Konkordienformel bekannte. Lutherischer geht nicht. Und wer meint, das sei alles nur vorgetäuscht gewesen, macht seinen Arndt-ist-Pietist-Helden zu einem Lügner ohnegleichen. Das ist jedenfalls nicht dem historischen Befund gegenüber angemessen, ignoriert den nachweislichen Selbstanspruch dieses Menschen. Es kann also sein, dass Arndt Stellen hat, die der lutherischen Lehre, besonders in Fragen der frommen Werke, nicht ganz angemessen sind – das ist tatsächlich so –  was aber keine Hinweise auf eine versteckte zugrundeliegende Wahrheit ist, sondern auf simple menschliche Fehlbarkeit.

4) Arndts „outstanding piety“: In der „Allgemeinen deutschen Biographie“ kann man in dem Artikel über Arndt (von 1875) lesen: “ […] bei aller confessionellen Bestimmtheit dennoch weitherzige christliche Frömmigkeit. Damit steht er nahezu einzig da […]“. Diese Einschätzung, Arndt sei der einzig Fromme unter lauter Rechthabern gewesen, ist ja das, was Pietisten gern aufgreifen, um die „tote Orthodoxie“ zu konstruieren; eine Geschichte „vom wahren Christentum“ die lautet: Luther – [Pause] – Arndt – [Pause] – Pietismus. Aber das ist eine völlige Verkürzung. Tatsächlich verhält es sich beim genauen Hinsehen umgekehrt, und Johann Arndt reiht sich in die ihm folgende Orthodoxie mit ein, die von klarem Bekenntnis (siehe Punkt 1) und Kampf um die Lehre, auch unter negativen Konsequenzen für sich selbst, geprägt war und wo zutiefst geistliche Andachts- und nuancierte und vielschichtige Trostbücher aus derselben Feder kamen, wie Kampfschriften zur Verteidigung der lutherischen Lehre. Und ein Blick auf Kaspar Bienenmann alias Melissander oder Hieronymus Mencel zeigt, dass diese Verbindung das Luthertum auch schon vor Arndt prägt. „confessionelle Bestimmtheit“ und wahre „christliche Frömmigkeit“ schließen sich eben nicht aus: sie bedingen einander.

Man sieht: Arndt selbst wollte Konkordienlutheraner sein. Eine große Menge an Konkordienlutheranern seiner Zeit hat ihn sehr geschätzt, ja, er hat sogar die folgenden Generationen z.T. maßgeblich beeinflusst. Man muss deshalb nicht zwangsläufig alles, was er je geschrieben oder herausgegeben hat, unbedingt und unbezweifelt schätzen. Nicht nur diesen Aspekt teilt er mit Martin Luther.

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