Mit Popcorn in der Vorlesung bei Luthardt: Jesus Christus – 1) Der historische Jesus

Advent heißt, auf die Wiederkunft Christi warten und sich dabei seine Ankunft in diese Welt zu vergegenwärtigen. Denn die Erinnerung an seine Geburt – Weihnachten – ist zugleich ein Ausblick: Jesus kommt wieder, diese Welt zu erlösen. Egal wie verrückt die Zeiten scheinen mögen, diese Welt ist nicht das Ende, auch wenn sie am Ende ist. Denn sein Kommen in diese Welt (Weihnachten) hat ihr Ende eingeläutet. Um das zu tun, ist Christus Mensch geworden. Zeit, etwas über die Person Jesus Christus nachzudenken, heute mit Luthardt:

„Kaum eine andere Frage nimmt das religiöse Interesse der Gegenwart so sehr in Anspruch, als die Frage über die Person Jesu Christi. Keine andere hat aber auch das Recht, ein gleiches Interesse zu fordern. Denn sie ist die Frage des Christentums selber, ja sie ist die Frage der Weltgeschichte. Denn sie gilt dem, der – mit Jean Paul zu reden – der Reinste unter den Mächtigen, der Mächtigste unter den Reinen, mit seiner durchstochenen Hand Reiche aus der Angel, den Strom der Jahrhunderte aus dem Bette hoch und noch fortgebietet den Zeiten. Zwar hat unsere Zeit nicht viel Sinn für dogmatische Fragen, wohl aber für historische; aber die Geschichte ist die Trägerin und die Hülle der Lehre. Der Kampf um die Lehre ist auf das Gebiet des Lebens Jesu übertragen. Aber welche Gegensätze stehen da einander gegenüber! So groß als der Unterschied groß ist zwischen dem ewigen Sohne Gottes und dem Sohne Josephs.

Diese Gegensätze sind alt, obgleich jetzt geschärft. Von Anfang an haben die Christen Jesu göttliche Ehre erwiesen. Schon im Neuen Testament werden sie als solche bezeichnet, die den Namen des Herrn Jesu anrufen. Und Plinius in seinem Briefe an den Kaiser Trajan spricht von Gesängen, welche die Christen in ihren Versammlungen Christo zu Ehren sängen, ihn damit göttlich verehrend. Wüssten wir auch nichts von der Lehre der apostolischen Kirche über die Person Jesu Christi, so wäre uns diese Tatsache der göttlichen Verehrung schon Zeugnis genug. Aber frühzeitig begegnet uns ein doppelter Gegensatz zur Lehre der Kirche, ein jüdischer und ein heidnischer. Der jüdische Irrtum sah in Jesu nur einen Propheten, wenn auch den höchsten, aber über dieser menschlichen Wirklichkeit entschwand ihm die übermenschliche Hoheit Jesu. Der heidnische Irrtum sah in Christo ein übermenschliches Wesen aus höheren Welten herniedergestiegen, aber die geschichtliche Wirklichkeit löste er  in bloßen Schein auf. Dort wird die Geschichte betont auf Kosten der Idee, hier die Idee auf Kosten der Geschichte.

Die Kirche sah in Jesu Christo die Einheit beider, der Geschichte und der Idee, des Menschlichen und des Göttlichen. Zwar wie Beides zur völligen Einheit zusammen gehen könnte, das blieb immer ein Problem ihrer Gedanken, und nie wird der Gedanke sich völlig mit der Wirklichkeit decken. Aber wo erreichen wir, selbst beiden Fragen des natürlichen Lebens, sobald sie hinter die nächstliegende Oberfläche gehen, die volle Wirklichkeit, so daß nichts Unerkanntes übrigbliebe? Und unabhängig von den Versuchen des begrifflichen Denkens, das Geheimnis der Person Jesu völlig zu erschließen, ist der Glaube und das Bekenntnis der Kirche. Hierin sind die verschiedenen Kirchen eins. Die Lehrdifferenzen in dieser Frage sind von geringer Bedeutung gegenüber den Übereinstimmungen im Glauben. Die Christen aller Kirchen beugen gemeinsam ihre Knie im Namen Jesu.

Der Rationalismus hat die göttliche Seite in Jesu Person, überhaupt alles Übernatürliche gestrichen. Und wenn er auch von einer „himmlischen Erscheinung auf dieser sublunaren Welt“ sprach, so war das nur eine Redensart. Jesus war eben nur der größte Tugendlehrer. Aber man musste sich überzeugen, daß mit dem Moralisten allein nicht durchzukommen sei. Das Christentum ist ein Erscheinung, welche weit über die Grenzen einer bloßen Moral hinausreicht. Das Bild, das uns in den Evangelien entgegentritt ist viel zu groß, als daß „der weise Rabbi aus Nazareth“ es zu deckenvermöchte. Die philosophische Spekulation suchte die tiefere Idee des Christentums zu erfassen. Aber wenn der Rationalismus die Geschichte auf Kosten der Idee vertritt, so vertritt die Spekulation die Idee auf Kosten der Geschichte. Jesus ist nur ein Symbol, das Symbol etwa der göttlichen Weisheit, wie Spinoza, oder der idealen Vollkommenheit, wie Kant und Jacobi, oder der Einheit des Göttlichen und des Menschlichen, wie Schelling und Hegel lehrten. Wie weit Jesu selbst dieser Idee nahegekommen sei – denn erreicht habe er sie nicht – das könne man nicht sagen; auch sei das das Gleichgültigere, denn nur auf die Idee, nicht auf die Geschichte komme es an. Aber man versucht vergebens, sich das einzureden. Was uns in den Evangelien so mächtig fesselt, das ist die geschichtliche Wirklichkeit der Person Jesu. Diese ist es, die unser ganzes Interesse in Anspruch nimmt. Es ist unmöglich, bei der Idee stehen zu bleiben und uns mit ihr zu begnügen. Strauß hat versucht, von jenem philosophischen Standtpunkt aus mit der Geschichte fertig zu werden. Er löst sie fast ganz in Dichtungen auf, welche dem poetischen Geiste der christlichen Gemeinde ihre Entstehung verdanken, und nur ein geringer unscheinbarer Rest geschichtlicher Wirklichkeit bleibt übrig. Aber wenn der Jesus, wie er uns in den Evangelien entgegentritt, das Produkt der Gemeinde ist, wessen Produkt ist dann diese Gemeinde selbst? Der dürftige Rest von Geschichte Jesu, den uns Strauß übrig lässt, steht in keinem Verhältnis zu der Wirkung, deren Ursache er sein soll.

Renan hat sich überzeugt, dass die Macht der Geschichte zu groß ist, als dass man sie so wie Strauß in Mythen auflösen könnte. Sein Buch bezeichnet darin einen Fortschritt über Strauß. Er bringt der geschichtlichen Wirklichkeit seinen Tribut. Der philosophische Geist des Deutschen konnte sich mit Abstraktionen und Ideen begnügen, der realere Geist des Franzosen erfordert geschichtliche Tatsachen. Er sagt sich mit Recht, dass der ungeheuren Wirkung, die Jesus ausübte, die Ursache, die in seiner Person lag, entsprechen müsse, dass Jesus nicht ein Gedicht seiner Geschichtsschreiber sein könne, dass die evangelische Geschichte im Wesentlichen Wirklichkeit sein müsse. Durch die Anschauung des Terrains selbst, auf dem sich die Geschichte begab, gewann ihm dieselbe eine handgreifliche Leibhaftigkeit. Jesus ist ihm ein „Mensch von ungeheuren Dimensionen“. Aber er windet sich den Zugeständnissen zu entgehen, die er nach seiner ganzen naturalistischen Weltanschauung nicht machen kann. Er häuft die schönen und hochtrabenden Worte, um nur das Eine Wort nicht sprechen zu müssen, dass Jesu Person ein Wunder und der wesentliche Kern seiner Geschichte ein übernatürlicher sei. Denn das Übernatürliche und Wunder leugnet er schlechthin, weil er überhaupt keine reale Welt jenseits dieser endlichen Welt und keinen persönlichen und freien Gott kennt, so wenig wie eine persönliche Unsterblichkeit. Nun aber bilden doch die Wunder einen zu wesentlichen Teil des Lebens Jesu. Da erklärt er sie denn lieber für Täuschungen und Betrugswerke Jesu selbst und schreibt Jesu lieber die Anwendung des berüchtigten Grundsatzes zu, dass der Zweck die Mittel heilige, d.h. er vernichtet lieber den sittlichen Charakter Jesu, als dass er anerkennte, dass wir es hier mit übernatürlichen Kräften zu tun haben. Aber so lange es ein sittliches Gefühl geben wird, wird es sich dagegen sträuben, dass Jesus allerlei unwahre Kunstgriffe welche vor der ordinären Moral nicht zu bestehen vermögen, wie etwa den Schein eines Herzenskündigers, gebraucht habe; oder dass er die Reinheit seiner Lehre durch die Beimischung einer fanatischen Schwärmerei mit Bewusstsein getrübt habe, um sie dadurch wirkungskräftig zu machen, da die Welt eben betrogen sein wolle; oder dass er sich für Gottes Sohn erklärt und dies zum Grundartikel seines Reichs gemacht habe, während doch sein besseres Wissen dem widersprach; oder dass er in Gethsemane in trüber Verzweiflung an die klaren Bäche seiner Heimat und die galiläischen Mädchen, welche ihm ihre Liebe zu schenken bereit gewesen wären, gedacht habe – Gedanken, wie sie nur einer verwüsteten Phantasie und einem Sohn des modernen Paris kommen können. Nein, so lange es Evangelien gibt, so lange sind diese in ihrer hohen Einfalt und heiligen Erhabenheit die Widerlegung solcher Beschimpfungen dessen, der der Reinste unter den Reinen war. Fragen wir die Evangelien nach der Person Jesu!“

aus: Christoph Ernst Luthardt, Apologetische Vorträge über die Grundwahrheiten des Christentums, Zehnter Vortrag. Die Person Jesu Christi, Leipzig 1864, 185-188.

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