Löhe’s Trostworte für Eltern todgeborner Kinder

Auch heute, nach einwöchiger Verspätung, bringen wir wieder seelsorgerliches Material für Eltern, deren Kinder verstorben sind. Im Juni verlor ich meinen Sohn Justus, dem durch schwere Krankheit nur eine Stunde Leben außerhalb des Mutterleibes beschieden gewesen wäre. Am Ende starb er schon kurz vor der Geburt. Doch Löhes Trostworte können auch für uns alle sprechen, und über allem steht Psalm 90,12: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“
Wilhelm Löhe’s
Tractate für die Seelsorge.

II.
Trost für Eltern über todtgeborne Kinder.

Nürnberg.
U. E. Sebald’sche Buchdr. u. Verlagshandlung.
1860.

Trost für Eltern über todtgeborne Kinder.

I.

 Was todtgeboren ist, hat gelebt und ist gestorben, ist ein Todter Gottes ebensowohl, als was am Lichte der Sonnen gestorben ist. Es ist gleichviel, ob ein Menschenkind in seinem Bettlein stirbt, oder im Leibe der Mutter. Ist aber todtgeborner Mensch ein Todter Gottes, so gilt von ihm, was von allen: „Ihm, dem Herrn, leben sie alle.“ Luc. 20, 38. Also die Todtgebornen leben dennoch.

II.

 Du sprichst: „Leben die Todtgebornen auch alle, auch wenn sie vom Leibe der Mutter gegangen sind, ohne belebt gewesen zu sein? Man sagt ja doch, daß die Kinder im Mutterleibe nicht von Anfang belebt sind, wie auch die Mutter die Lebensregung ihres Kindes erst später fühlt.“ Auf diese Frage versichere ich dir: Sie leben alle. Die Kinder leben, ehe die Mutter die Lebensregung fühlt, sie leben vom ersten Augenblick ihres Daseins an und haben vom ersten Augenblicke an eine Seele, ihre Seele. Es ist zwar ein trauriges Bekenntnis, welches David im 51. Psalm thut: „Ich bin aus sündlichem Samen gezeuget, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen;“ aber über todtgeborne Kinder und was ihnen gleich zu rechnen ist, liegt doch in den Worten Davids eine herrliche Offenbarung. Wer ist in Sünden empfangen? Ich. Also nicht bloß mein Leib; da meine Mutter empfieng, empfieng sie mich, d. h. meinen Leib und meine Seele, denn die zusammen geben erst ein Ich. Wie war ich, da mich meine Mutter empfing? Ich war in Sünden; sie hat empfangen „mich in Sünden,“ d. i. mich, da ich schon in Sünden war. Nicht sie sündigte, damit, daß sie empfing, nicht sie wird im Psalmenverse getadelt; sondern ich, weil ich aus sündlichem Samen empfangen bin und in Sünden war schon bei meiner Empfängnis. Wenn ich aber schon damals in Sünden war, so muß ich eine Seele gehabt haben schon damals, denn die Sünde hängt an der Seele und nicht am Leibe, der Leib wird erst sündhaft durch die Seele. „Warum darf man nicht sagen, fragte ein Pfarrer, daß Gott jedem Kinde die Seele neu schaffe, und warum muß man sagen, ein jedes Kind bekomme seine Seele, wie seinen Leib von den Eltern?“ Ein junger Bauersmann antwortete von seinem Sitze auf der Emporkirche herab: „Wenn Gott jede Seele neu schüfe, so würde er jede rein schaffen; ich aber bin in Sünden empfangen, also muß ich meine Seele bei der Empfängnis von meinen Eltern empfangen haben, wie meinen Leib.“ Vortreffliche Antwort, aus der aber auch mit Sicherheit hervorgeht, daß die Seele des Kindes so alt ist, als sein Leib, daß also auch alles, was empfangen ist, nicht bloß belebt, sondern beseelt ist, also ein Menschenkind völliger Art, also ein Todter Gottes, wenn es stirbt, es sterbe eine Minute nach der Empfängnis oder eine Minute vor der Geburt, oder in der Geburt. Sind aber die Todtgebornen oder Abgegangenen wirkliche Todte Gottes, so geht ihre Seele bei ihrem Tode zu Gott, wie jede Seele, und ihr Leib, so unvollkommen er beschaffen gewesen sein mag, wird auferstehen am jüngsten Tage.

III.

 Nach diesem allen kann man sagen: Den Eltern todtgeborener Kinder liege es, je gewisser dieselben wie alle andern Todten anzusehen seien, desto weniger an der Versicherung, daß sie leben, als an der, daß sie selig seien, und da habe man nun eben bedeutende Zweifel, weil die Todtgeborenen die Taufe nicht erlangten. Darauf ist aber einfach zu antworten, daß die Taufe für die Todten nicht eingesetzt, noch gegeben ist, sondern für die Lebenden, sintemal es am Tage ist, daß nicht wiedergeboren oder getauft werden kann, wer nicht geboren ist und lebt. Wer getauft werden soll, muß in die irdische Schule Jesu gebracht und nach der Taufe gelehrt werden können alles, was Jesus Christus befohlen hat. Das können die Todtgebornen und Todten nicht; es kann ihnen also auch die Taufe nicht vermeint sein, sondern für die Kindlein, die das Licht der Welt nicht sehen, gibt es entweder keine Seligkeit, oder es muß ihnen dieselbe auf anderen Wegen, als auf denen der ordentlichen Gnadenmittel gegeben werden. Der HErr, welcher Seine Gnade für die, welche leben, an den Gebrauch der Gnadenmittel zu binden pflegt, ist doch nicht selbst an Seine Gnadenmittel gebunden, am wenigsten in Anbetracht derer, denen sie gar nicht vermeint sind. Er kann, wenn er will, um Jesu Christi willen die Kindlein im Mutterleib selig machen, wie er den heiligen Johannes in Mutterleib mit Seinem Geist erfüllte, und es kommt blos darauf an, ob wir eine Ursache haben zu glauben, daß er es will. Ich denke aber wir haben solche Ursache ohne Zweifel. Sollte der HErr, der barmherzig und gnädig ist, die Kindlein, die im Mutterleibe sterben, verwerfen, da sie doch Menschen sind, und er doch will, daß allen Menschen geholfen werde? Das wird dem nicht zuzutrauen sein, welcher als ein guter Hirte den Lebendigen nachgeht, trotz der wirklichen Sünden, die sie alle Tage häufen. Unser vertrauender, gläubiger Geist läßt uns das nicht denken. Ferner: im 7ten Capitel des 1sten Briefes an die Corinther, im 14. Verse nennt St. Paulus die Kinder aus gemischten Ehen deshalb heilig, weil ein Theil der Eltern christlich oder heilig ist. Er nennt sie heilig, also doch gewiß auch die Kinder aus ungemischten Christen-Ehen. Er nennt sie heilig ohne Rücksicht auf die Taufe, welche sie bei gemischten Ehen vielleicht nicht einmal empfangen hatten. Er nennt sie heilig, nicht im levitischen Sinne, denn er redet ja nicht zu Juden und nicht von Juden, sondern zu solchen, denen nach seinem eigenen Wort und Beispiel an der levitischen Reinigkeit und Heiligkeit nichts liegt. Er nennt sie heilig nicht im Sinne der Heiligung, die aus der Rechtfertigung fließt, denn in die Ordnung des Heils sind diese kleinen Kinder gemischter Ehen noch nicht eingetreten. Er muß sie heilig nennen, weil sie geheiligt sind durch das Wort Gottes und Gebet. Ein christlicher Gemahl wird ohne Zweifel, auch wenn der andere Theil ein Heide oder Jude ist, sein Kind, das ungeborne, dem HErrn empfehlen, und ob er es nicht thäte, so thut es doch die treue Kirche, welche, so oft sie für die Kindlein betet, die ungeborenen mit einschließt, sie sage es ausdrücklich, wie es an manchem Ort geschieht, oder nicht.

IV.

Schon in der vorigen Nummer sind wir bis an die Grenzen des Spruches gekommen, auf welchen die Kirche ihre Hoffnung für die ungetauften Christenkinder gründet. Es ist der allen bekannte Spruch Marci am 10ten: „Laßet die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solcher ist das Himmelreich.“ Welcher ist das Himmelreich? Redet der HErr in dieser Stelle nur von den Christenkindern? Es ist am Tage, daß die Kinder, von welchen die Rede ist, Judenkinder waren, ungetaufte Judenkinder; also ist von Christen und Taufkindern zunächst nicht die Rede, und das Wort greift weiter. Die Rede ist von solchen Kindern, die ihm dargebracht werden, die man auf den Armen zu Jesu bringt, für welche man Fürbitte einlegt. Ob einer auch sagen wollte, es sei von Judenkindern die Rede, also von solchen, die im Bunde Gottes stehen; so drückt das unsere Hoffnung doch nicht nieder, denn auch die Kinder der Christen können ja, wie wir gesehen haben, heilig genannt werden, müssen also jedenfalls in einem gewissen Sinne mit im Bunde Gottes stehen. Wenn man also auch sagen wollte, das Wort Jesu beziehe sich nicht auf alle Kinder, nicht auf die der Heiden, so wären doch unsere Kinder jedenfalls mit eingeschloßen und jedenfalls solche Kinder, deren das Himmelreich ist, wenn wir sie betend zu Jesu Christo bringen. Nun bringen wir alle Kinder, auch die ungebornen, betend zu Christo, und haben also eine sichere Hoffnung, daß auch derer, die vor oder in der Geburt sterben, das Himmelreich ist. An diese Hoffnung können sich also trauernde Eltern getrost anhängen; diese Hoffnung wird sie nicht laßen zu Schanden werden. Kraft derselben werden sie ihre Kinder, welche sie auf Erden nicht einmal kennen lernten, jenseits| finden unter den Haufen, die da feiern und anbeten vor des Lammes Thron.

V.

 Ist es also, so haben christliche Eltern, denen Kinder vor der Taufe sterben, keine andere Aufgabe, als alle übrigen, die Angehörigen zu Grabe zu legen: sie müßen sich lernen in Gottes Willen fügen, und die große Tugend aller Heiligen, Ergebung und Gottgelaßenheit studieren. Du hast es dir anders gedacht, lieber Bruder, liebe Schwester. Ihr habt euch das süße Glück schon ausgemalt, ein Kindlein aufzuziehen und mit ihm umzugehen, nun aber habt ihr den Beruf, Gotte wiederzugeben, was er euch gegeben hat, noch ehe ihr es recht besaßet, und eure Aufgabe ist, in einem geringen Maße Nachfolger Abrahams zu werden, der seinen längstgebornen Sohn, den Erben großer Verheißungen für das Reich Gottes auf Erden, dennoch schlachten sollte, und sich in den scheinbar unbegreiflichen und widersprechenden Befehl Gottes finden. „In geringem Maße;“ denn was ists für eine Aufgabe, ein ungebornes oder todtgebornes Kindlein zu geben, gegenüber der Aufgabe, einen Isaak zu opfern? Darum seid nur gelehrig in eurem Beruf und nehmet den Willen Gottes hin, ohne welchen kein Haar vom Haupte, und kein Vogel vom Dache fällt. Bald wird euch der Geist des HErrn alles zurechtgelegt haben, und ihr werdet euch freuen lernen auf die Ewigkeit, wo euch Kinder begrüßen werden als die euern, die ihr hier kaum schauen, geschweige kennen lernen konntet.

 So tröstet euch nun mit diesen Worten untereinander.

In Memoriam Justum

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