Brunschweiger und Chesterton – die andere Position zu „Kinderfrei“

Gilbert Keith Chesterton

Derzeit wird das Thema der Kindervermeidung vor allem wegen eines Buchs von Frau Brunschweiger stark beackert. Ihre Position mag einigen extrem, anderen nicht radikal genug erscheinen. In den Lektüren der letzten Wochen stieß ich auf ein Zitat, das einen ähnlich kompromisslosen Gegenpol zu „Kinderfrei“ bietet. Und wer frei denken möchte, darf nicht nur in eine Richtung schauen.

Gilbert Keith Chesterton, den berühmten Schriftsteller und christlichen Apologeten, wollen wir also zu Wort kommen lassen. Was seinen Stil, seine Genialität, Wortgewandheit und Humor angeht, sollte man sich als Mensch mit deutscher kultureller Prägung Kurt Tucholsky vorstellen, nur als ebenso brennend römisch-katholischen Christen, wie Tucholsky Sozialist war.Tucholski rezensierte Bücher Chestertons sogar und man merkt: die beiden hätten sich zumindest freudig duelliert.

Chesterton bezeichnet sich im Zitat als „Distributist“. Was ist das, fragt man hierzulande (ich hätte mich nicht zum Tucholskylesen verführen lassen sollen!) Der Distributismus ist synonym mit bzw. ordnet sich in den Bereich der Katholischen Soziallehre ein, die als Reaktion auf die Enzyklie Rerum Novarum Leo des XIIIten entstand und sich als echte Alternative zu Kapitalismus und Kommunismus verstehen will. Unser Zitat zeigt uns lebhaft die Gegensätzlichkeit des monopolistischen Kapitalismus und der Familie und der individuellen Kreativität zur kapitalistischen Produktschaffung in Chestertons distributistischen Gedanken. Zur Namensgebung der Bewegung sei verdeutlicht: Hordung der Produktionsmittel (Kapitalismus), Verstaatlichung der Produktionsmittel (Kommunismus), Verteilung der Produktionsmittel (daher also Distributismus).

Am Anfang des hier zitierten Essays „Distributismus und Babies“ schlägt Chesterton gleich den uns von Tucholsky bekannten schelmischen und doch zutiefst ernsten Ton an: Nicht viel könne ihn zu wirklicher Abscheu bewegen: weder ein Atheist, der mit den traurigen Folgerungen seiner eigenen Logik eingepfercht wird, noch der Bolschewist, den seine Revolte gegen sehr reale Mißstände zu ähnlich groben Vereinfachungen treibt. Doch bei jenen, die für Geburtenkontrolle werben, sähe es anders aus.

Darauf folgen eine semantische, eine philosophische und eine distributistische Kritik: die Wortkonstruktion selbst ist schwach und feige, die Idee ist nur ein ängstliches und passives Nichtzuendedenken der eigenen Ablehnung der christlichen Überzeugung, dass der Mensch etwas anderes ist als ein Tier, dass Gott selbst Menschen schafft und der Mensch selbst hier vor allem anderen zumindest vor Ehrfurcht erzittern sollte.

Und nun kommen wir zum dritten Punkt und wünschen viel Freude mit der Frau Brunschweiger diametral entgegengesetzten Position:

But there is a third reason for my contempt, much deeper and therefore more difficult to express; in which is rooted all my reasons for being anything I am or attempt to be; and above all, for being a Distributist. Perhaps the nearest to a description of it is to say this: that my contempt boils over into bad behaviour when I hear the common suggestion that a birth is avoided because people want to be „free“ to go to the cinema or buy a gramophone or a loud-speaker. What makes me want to walk over such people like doormats is that they use the word „free.“ By every act of that sort they chain themselves to the most servile and mechanical system yet tolerated by men. The cinema is a machine for unrolling certain regular patterns called pictures; expressing the most vulgar millionaires‘ notion of the taste of the most vulgar millions. The gramophone is a machine for recording such tunes as certain shops and other organisations choose to sell. The wireless is better; but even that is marked by the modern mark of all three; the impotence of the receptive party. The amateur cannot challenge the actor; the householder will find it vain to go and shout into the gramophone; the mob cannot pelt the modern speaker, especially when he is a loud-speaker. It is all a central mechanism giving out to men exactly what their masters think they should have.

Now a child is the very sign and sacrament of personal freedom. He is a fresh free will added to the wills of the world; he is something that his parents have freely chosen to produce and which they freely agree to protect. They can feel that any amusement he gives (which is often considerable) really comes from him and from them and from nobody else. He has been born without the intervention of any master or lord. He is a creation and a contribution; he is their own creative contribution to creation. He is also a much more beautiful, wonderful, amusing and astonishing thing than any of the stale stories or jingling jazz tunes turned out by the machines. When men no longer feel that he is so, they have lost the appreciation of primary things, and therefore all sense of proportion about the world. People who prefer the mechanical pleasures, to such a miracle, are jaded and enslaved. They are preferring the very dregs of life to the first fountains of life. They are preferring the last, crooked, indirect, borrowed, repeated and exhausted things of our dying Capitalist civilisation, to the reality which is the only rejuvenation of all civilisation. It is they who are hugging the chains of their old slavery; it is the child who is ready for the new world.

G.K. Chesterton, Babies and Distributism, The Well and the Shallows

Doch es gibt noch einen dritten Grund für meine Verachtung, der viel tiefer liegt und viel schwieriger auszudrücken ist; in dem all meine alle meine Urgründe für alles liegen, was ich bin oder versuche zu sein; und vor allem dafür Distributist zu sein. Vielleicht kommt es einer Beschreibung am nächsten, wenn ich folgendes sage: nämlich, dass meine Verachtung in schlechtes Verhalten überkocht, wenn ich die gemeinverbreitete Anmerkung höre, dass eine Geburt vermieden wird, weil die Menschen die „Freiheit“ haben wollen ins Kino zu gehen, ein Grammophon zu kaufen oder ein Radio zu erstehen. Was in mir das tiefe Bedürfnis hervorruft, solche Menschen als Fußabtreter zu verwenden, ist, dass sie dabei eben jenes Wort in den Mund nehmen: „Freiheit“. Durch Handlungen dieser Art ketten sie sich an das sklavischste und mechanischste System, das bisher je von Menschen ertragen wurde. Das Kino ist eine Maschine um bestimmte regelmäßige Muster abzurollen, die Filme genannt werden und die Vorstellungen der ordinärsten Multimillionäre über den Geschmack der ordinärsten Millionen ihrer Mitmenschen darstellen. Das Grammophon ist eine Maschine um genau jene Melodien abzuspielen, die bestimmte Geschäfte und andere Organisationen gerne verkaufen wollen. Das Radio ist besser, doch selbst dieses trägt das Zeichen der Moderne, das alle drei auszeichnet: die Impotenz des Rezipienten. Der Amateur kann den Schauspieler nicht herausfordern, der Herr des Hauses wird vergebens in das Grammophon schreien, der Mob kann den modernen Sprecher nicht mit Tomaten unterbrechen, besonders, wenn es sich um einen Lautsprecher handelt. All dies ist Teil eines zentralisierten Mechanismus, der den Menschen nur das ausgibt, was sie nach der Meinung ihrer Herren und Meister haben sollten.

Ein Kind jedoch ist das wahre Zeichen und Sakrament persönlicher Freiheit. Es ist ein brandneuer freier Wille, der den anderen Willen in der Welt hinzugefügt wird; es ist etwas, dessen Herstellung von seinen Eltern aus freien Stücken beschlossen wurde und etwas, das sie aus freien Stücken schützen. Sie können sich des Gefühls erfreuen, dass sein Unterhaltungswert (und der ist oft bemerkenswert), wirklich und tatsächlich von ihm selbst und ihnen selbst kommt und von niemand anderem. Es wurde ohne die Einmischung irgendeines Herrn oder Meisters geboren. Es ist eine Schöpfung, ein Beitrag, ihr eigener schöpferischer Beitrag zur Schöpfung. Es ist auch ein viel schöneres, wundervolleres, unterhaltsameres und überraschenderes Etwas als jede der fahlen Geschichten und dudelnden Melodien, die sich den Maschinen entwinden. Wenn Menschen dies nicht mehr erkennen können, dann haben sie die Wertschätzung für erste Dinge verloren und damit auch jegliches Gefühl für die Proportionen der Welt. Menschen, die mechanische Freuden einem solchen Wunder vorziehen, sind zu abgestumpften Sklaven geworden. Sie ziehen den schalen Bodensatz des Lebens seinen ersten Quellen vor. Sie ziehen die letzten, verkrümmten, abstrakten, geborgten, wiederholten und verbrauchten Dinge unserer sterbenden kapitalistischen Zivilisation jener Wirklichkeit vor, die die einzige Erneuerung aller Zivilisation ist. Sie sind es, die in Wahrheit die Ketten ihrer alten Sklaverei an sich drücken, das Kind ist wirklich bereit ist für eine neue Welt.

G.K. Chesterton, Babies and Distributism, The Well and the Shallows, 1935

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