In einem gewissen gemeindlichen Kontext – meist so die eher evangelikalen Richtungen – haben sie Konjunktur: Gabentests.
„Finde deine Bestimmung!“, so könnte man das Anliegen verstehen. Das Prinzip: mehr oder weniger nah am Bibeltext werden diverse Gaben identifiziert, mittels eines Fragebogens, den der Interessierte selbst ausfüllt und z.T. durch Fragebögen, die von anderen ausgefüllt werden sollen, werden Persönlichkeitseigenschaften erhoben, schließlich das jeweilige Profil einigen der Gaben zugeordnet. Garniert wird das ganze mit (zu kaufenden) Büchern, der Aufforderung, den (zu bezahlenden) Test doch immer mal wieder zu machen, um so einerseits immer mehr Gaben zu erlangen, andererseits diese eigene Entwicklung zu erkennen und zu überprüfen. Alles nach dem Motto: du musst nur wollen, dann kannst du besser werden; wir weisen dir den Weg dahin, kaufe unsere Publikationen, sie werden dir helfen. Und: es liegt an dir, wenn sich nichts tut. Denn, so ein oft geäußerter Satz: wenn du dein Christenleben nicht gemäß der erkannten Gaben lebst, kannst du dich auch nicht entwickeln. Unterlegt wird diese Behauptung durch moralinsaure Geschichten, z.B. von den Tieren, die trotz unterschiedlicher Begabung alle denselben Test machen, den dann die gehirn- und rückgratlose Qualle gewinnt. Zaunslattenmoral der Geschichte: wenn du hier bei unserem Test nicht mitmachst und somit nicht deine eigene, speizelle Fähigkeit entdeckst, bleibst du ein blubberndes Meerestier.
Besonders gut eignen sich für solche Tests natürlich christliche Jugendgruppen – wer, wenn nicht Jugendliche, ist auf der Suche nach dem Sinn, Ziel und Zweck des Lebens, nach seiner Bestimmung? Also schnell einen Test gemacht, herausgefunden, dass meine Gabe die Gastfreundschaft ist (weil ich angekreuzt habe, dass ich gerne Gäste empfange), eine Kellnerlehre in einem christlichen Restaurant begonnen und sich für das Kirchenkaffee verantwortlich erklärt? Auch wenn das überspitzt klingen mag, genau das sollen die Tests letztlich bringen: Finde deine Aufgabe innerhalb deiner Gemeinde und finde dich selbst. Und wenn du daran zweifelst, was du eigentlich tun sollst, mach schnell unseren Test, um zu bemerken, wie wenig du von dem, was du eigentlich tun solltest, wirklich tust. Ein großes Programm der Überforderung also: erstens, weil du natürlich immer mehr Gaben erlangen musst, sonst bist du wie der Mensch in dem Gleichnis, der sein eines kümmerliches Talent im Boden vergräbt – dabei sollst du doch der Mensch mit den 10 Talenten werden!, zweitens, weil du die einmal erkannten Talente natürlich entwickeln musst, um in ihnen immer besser zu werden. Ein „genug“, einen Endpunkt gibt es nicht. Läuft es nicht in deinem Glaubensleben? – Na dann entwickel doch endlich mal deine Gaben. Läuft es gut? Na dann umso mehr! Immer mehr, immer weiter. Und wenn mal etwas nicht geht, dann bist du selbst verantwortlich dafür, und nur du kannst es ändern. Klar, auch durch beten und andere „fromme Handlungen“, aber diese Handlungen zu tun, bis sich der gewünschte Effekt einstellt, das bleibt eben an dir hängen. Da braucht man die Tests noch gar nicht theologisch beurteilen, es gibt schon so eine Menge anzusprechender Probleme: Ein allgemeiner Test von vllt. einer Stunde Länge soll meine Begabungen individuell ermitteln? Schlimm wird es dann bei all zu hanebüchenen Fragen, „Bist du mehr als andere bereit dein Leben für Jesus zu lassen?“ (dann hast du die Gabe des Leidens) – wie soll es überhaupt möglich sein, diese Frage zu beantworten, zu wissen, wie sehr andere dazu bereit sind?
Aber gut, schauen wir uns das Ganze nun noch einmal theologisch an. Folgende Thesen werden von Gabentests impliziert:
(1) Gott hat mir geheime Gaben gegeben, in denen meine Bestimmung versteckt liegt. Wer ich wirklich bin, das zeigt mir Gott durch diese Gaben. Und wenn du deine Gaben nicht kennst, kannst du dein Christsein nicht entwickeln!
(2) Es gibt einen festen Kanon an Gaben, mindestens eine der Gaben musst du bei dir identifizieren, je mehr du daran arbeitest, desto mehr Gaben kannst du erhalten.
(3) Wenn der Gemeinde ihre Begabungen bekannt sind, wird sie sich gut entwickeln
Worauf beziehen sich Gabentests? – Natürlich auf die Gabenkataloge des neuen Testaments, z.B. Röm 12; 1. Kor 12. Gerade letzteres Kapitel ist mit der Aufforderung „Strebt aber nach den größeren Gaben!“ geradezu Paradestelle für jeden Gabentest. Also, ist das alles biblisch, und gut so? Schauen wir uns das mit den Thesen an.
Erstens: „Wenn du deine Gaben nicht kennst, kannst du dein Christsein nicht entwickeln“. Dagegen gilt: Gott hat uns schon angenommen, als wir noch Sünder waren. Wir können unser Christsein nicht machen, sondern uns nur in Gottes Hand begegen. Wir werden keine besseren Christen dadurch, dass wir viel Mühe haben, sondern dadurch, dass wir zu Füßen des herrn sitzen, und seine Rede hören. Der Glaube kommt aus der Predigt. Wer ich wirklich bin, entdecke ich nicht erst, wenn ich spannende Gaben identifiziert habe, die mich zu einem ganz besonderen geistlichen Leistungssportler machen, den die Welt so noch nicht gesehen hat. Wer wir sind, wird uns vor dem Wort Gottes offenbart: Wir sind Sünder und ermangeln des Ruhms, den wir haben sollten und sind Kinder Gottes, die von ihm angenommen sind, weil Christus unser Fürsprecher ist. Was uns am Ende ausmacht, ist nicht eine bestimmte Leistung, eine bestimmte Gabe, sondern, auf welche Weise Gott auf uns schaut.
Zweitens: „Es gibt einen festen Kanon an Gaben, mindestens eine der Gaben musst du bei dir identifizieren, je mehr du daran arbeitest, desto mehr Gaben kannst du erhalten“. Nein, nein, und nochmals nein. Schon die Gabenkataloge im Neuen Testament sind unterschiedlich. Das steht ja auch nirgendwo, dass Paulus da alle Gaben aufzählen wollte. Im Gegenteil, er betont die Verschiedenheit und Vielfalt der Gaben. Ihr Bestimmungsmerkmal ist nur, dass ihnen der eine Geist zugrunde liegt. So ist auch ihr einziger Zweck der Dienst an der Gemeinde. Gaben werden daran erkannt, dass sie den anderen nützlich sind. Am Ende des zwölften Kapitels im Korintherbrief, dem einen Gabenkatalog, schreibt Paulus ganz folgerichtig, er wolle einen noch besseren Weg zeigen, woraufhin 1. Kor 13 folgt, das „Hohelied der Liebe“: „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.“ Grundlage aller und wichtiger als jede noch so gute Gabe ist die Liebe, sie ist das entscheidende (hier gehts um die Agape-Liebe). Nicht, zu wissen, was ich tolles kann, sondern, auf Gott zu schauen, ihn mit allen Kräften zu lieben, das zählt. Wer Gott mit allen Sinnen und Verstand liebt, der tut auch genug. Aber nicht, weil das tun wichtig wäre um irgendwas zu erreichen, sondern weil er es möchte. Das erklärt Paulus dann im 14. Kapitel. Da schreibt er, dass er lieber wolle, dass man prophetisch rede, als in Zungen zu reden, denn: „Wer in Zungen redet, der erbaut sich selbst; wer aber prophetisch redet, der erbaut die Gemeinde.“ Die Gaben sollen also der Gemeinde dienen, das ist ihr Ziel. Und nur unter dieser Bedingung gilt: „Da ihr euch bemüht um die Gaben des Geistes, so trachtet danach, dass ihr sie im Überfluss habt und so die Gemeinde erbaut.“
Da geht es also nicht um Selbstfindung, ebenso wenig um Selbstversicherung. Eine Gabe nützt nicht dir etwas. Die Gemeinde soll erbaut werden. Dazu ist nicht nötig, dass ich möglichst viel leiste, sondern dass ich die Liebe habe, die Gott zuerst in den Blick nimmt. Das zeigt die Geschichte mit den Talenten, in der Jesus am Ende den mit dem einen Talent nicht etwa verurteilt, weil er nur ein Talent gehabt hatte, sondern wegen seines Umgangs damit. Nicht, weil er nicht sich selbst entwickelt hätte, ist er der, der am Ende hinausgeworfen wird, sondern weil er sich an der Stelle, an die er gesetzt war, nicht um das, was ihm anvertraut war, gekümmert hat. Er hätte das Talent nur zu den Wechslern bringen müssen: Er hätte also nicht einmal selbst etwas investieren müssen. Er hat keine Liebe zum Herrn gehabt und nicht mit dessen Augen das Talent betrachtet, sondern nur mit Augen der Angst und den Anforderungen seiner Welt. Nun ist das nur ein Gleichnis. Es zeigt aber, dass es nicht darum gehen soll, immer mehr und immer bessere Gaben zu erlangen, um selbst immer besser zu werden. Entscheident ist die Treue und Liebe zu dem, der allein alle Talente vergibt.
Drittens: „Wenn der Gemeinde ihre Begabungen bekannt sind, wird sie sich gut entwickeln“. Hier ist (mal wieder) ein Kirchenbild der Machbarkeit impliziert. Es geht alles – du musst nur wollen. Und im Umkehrschluss natürlich: Wenn nichts geht kann es nur an uns liegen! Aber das ist nicht das, was unser Herr Jesus Christus seiner Kirche verheißen hat. Die Gemeinde ist (1) in Gottes Hand. Er baut sie durch Menschen, nicht bauen Menschen sie durch ihren Willen. Die Gemeinde ist (2) Verfolgung ausgesetzt. Menschen können noch so treu sein, die Gemeinde bleibt eine kleine Schar. Was ist die Aufgabe der Gemeinde? Na, Hören des Evangeliums & Genuss der Sakramente natürlich! Und wieder ein Umkehrschluss: somit natürlich ebenso die Ermöglichung der Ausbildung und Bereitstellung des Lebensunterhaltes derjenigen, die das erste verkünden und das zweite verwalten und austeilen sollen! Oder wie Apg sagt: „Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet.“ Was soll ich also tun? Dazu muss man vllt nochmal daran erinnern, was Kirche eigentlich ist – hier und hier. Am Ende gilt: „Heiligung wird von Gott ausgeführt.“ (hier). Ein Kirchenreformprogramm ist etwas relativ banales und kann z.B so aussehen.
Fazit:
Natürlich gilt: strebt nach den Gaben des Geistes: Dabei gehts aber nicht um euch, sondern um die Gemeinde. Man darf um Gaben beten. Aber es geht nicht um einen Wettbewerb, wer ist der Beste in der Gemeinde. Und, Dein Christsein hängt nicht davon ab, welche oder wie viele Gaben du hast, sondern vom Glauben daran, dass Gott der Vater dich liebt, dass Jesus Christus für dich gestorben und auferstanden ist, und dass der Heilige Geist durch die Taufe in dir ist und wirkt.
Sicherlich ist es – gerade für Jugendliche – wichtig, sich zu orientieren, und in der Gemeinde sollte dazu Platz sein, Stärken und Schwächen, Gaben und Interessen zu entdecken. Gabentests eignen sich in ihrem Gesamtpacket dafür allerdings nicht, Verantwortliche sollten andere Wege finden, Gemeindeglieder über diese Fragen nachdenken zu lassen.
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der text ist super
ich habe mir erlaubt dies auf meiner hompage zu veröffentlichen